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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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beschäftigte sie sich nicht mit mir. Mit ihrem Blick verriet sie zwar ihre Scham, dass ich hierhergeraten war, als hier festsitzender Ohren- und Augenzeuge der Szene, aber trotzdem führte sie ihren Sanftheitsangriff schamlos weiter.
    Ich hoffe ehrlich, sagte sie leise, dass du nicht deshalb so bezaubernd freundlich bist, weil ich dich irgendwie beleidigt habe.
    Im Gegenteil, sagte er nicht weniger leise, es gereicht mir immer zur Freude, deine Aufmerksamkeit erwidern zu dürfen.
    Wahrscheinlich hast du dir die feinen Manieren in der Schlacht um Woronesch angeeignet.
    Ich hätte sie gern an der Sorbonne erworben, wenn ich gewusst hätte, dass ich mit so vornehmen Persönlichkeiten zu tun haben würde.
    Ich finde es toll, mit Kneipenbrüdern im Kontakt zu sein.
    Ich hingegen kann deine Klasse nicht ausstehen.
    Na, was du nicht sagst.
    Sie blickten sich an und fanden es lustvoll, man kann es nicht anders sagen. Zwei trotzige, starrsinnige, wütende Profile, zwei großartige Mähnen, zweimal Selbsthass, sogar ich fand es lustvoll, sie in ihrer Wildheit zu sehen.
    Dann sag mir doch, Lieber, was los ist, was ist los, mein Einziger, was, was ist los, wiederholte sie immer gröber, schärfer und mit gleichmäßig zunehmendem Stimmvolumen, wie jemand, der endgültig genug hat und durchdrehen würde, falls er sich nicht mit Hysterie Luft verschaffen kann.
    Trotzdem nahm sie den drohenden Ton gleich wieder zurück, war fähig dazu. Ich wollte wirklich nicht spotten, sagte sie, wieder leise. Ich möchte nur, dass du dich ein wenig beruhigst. Das ist alles.
    Du hast meine Frage nicht beantwortet.
    Ich habe aber die Tür ordentlich zugemacht.
    Sehr löblich.
    Ich bin ja ein braves Mädchen.
    Und du meinst, damit sei alles erledigt.
    Ich weiß nicht, was ich sonst noch tun könnte, damit wir fortkommen, sagte sie mit einem rohen Grinsen.
    Dass ich vergesse, darauf hoffst du, dass ich vergesse und alles vergebe.
    Es gibt nichts zu vergessen, mein Süßer und Einziger, nichts zu vergeben.
    Sie sahen sich lange an, als spielten beide auf einem besonderen Instrument, zwei voneinander bezauberte, stolze Menschenköpfe. Ihrer Kopfhaltung war anzusehen, dass ihnen, was immer sie für- oder gegeneinander taten, die kreativen Einfälle nie ausgehen würden. Wieder musste zuerst er aufgeben, ihr Grinsen hatte ihn angesteckt, auch wenn er sich zwang, sich mit ernster Miene noch einige Augenblicke dagegen zu wehren. Wie zwei Lausebengel am Ende eines gemeinsamen Streichs lachten sie gleichzeitig kurz und leise auf. Das Lachen half ihm bestimmt über die erneute Niederlage hinweg. Es schmerzte mich, die beiden zusammen lachen zu hören. Als sagten sie, das haben wir wirklich gut gemacht, aber unser gemeinsamer Erfolg bedeutet, dass der Wunsch nach Glück stärker ist als der nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Und so war doch wieder er mit seiner Suche nach Wahrheit der Verlierer, sie mit ihrer Suche nach Glück die Siegerin. Ihre Anziehung war so stark, dass ich ihr nicht widerstehen konnte. Ich spürte die Niederlage des Mannes in meinem Schwanz, der vor Angst zusammengeschrumpelt und an die Unterhose geklebt war, aber doch vor Verlangen leise sickerte. Dann beugte sie sich zart über ihn und wollte ihn vor meiner Nase auf den Mund küssen. Und ich auf dem harten, fürs Gepäck gedachten Rücksitz wusste nicht, was ich tun sollte.
    Sie berührte ihn nur flüchtig, wich erschrocken zurück, auf ihrem Gesicht sah ich echte Betroffenheit.
    Du hast getrunken, rief sie verzweifelt wie ein Kind, was darauf deutete, dass er schon wieder ein Versprechen nicht eingehalten hatte.
    Ja, einen Wodka, stimmt. Es war nicht zu vermeiden.
    Nicht nur einen, ich riech’s doch.
    Nur damit du zufrieden bist, kann ich nicht mehr sagen als was stimmt.
    Dann sei so lieb und bring mich nach Hause.
    Und ich soll allein hingehen.
    Allein oder mit sonst jemandem. Wohin du willst, und wie immer es dir passt.
    Nach diesem erneuten Wortwechsel wurde die Stille zwischen ihnen unheilverkündend und hoffnungslos düster. Vorhin hatte ich sie, zwar peinlich berührt und widerwillig, aber noch neugierig verfolgt, dieser Anfall hingegen erschütterte mich. Was sie da zusammen trieben, brauchte keine Zeugen, meine Anwesenheit war nicht mehr erklärbar oder erträglich. Nicht aus moralischen Gründen, sondern es schlug mir direkt auf den Magen und das Gedärm. Man weiß nie genau, was man sich vom Leben wünscht, man muss ja gleichzeitig Verschiedenes wünschen, Möglichkeiten

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