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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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abwägen, aber so etwas wollte ich bestimmt nicht. Ich fürchtete, ich würde vor Schreck einen Furz lassen.
    Der Augenblick war nah, ich fühlte es, da ich die Konsequenzen meiner dauernden Beklemmung nicht mehr würde unter Kontrolle halten können.
    Ich meldete mich leise und vorsichtig zu Wort, nannte die Frau zum ersten Mal beim Vornamen, und um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, beugte ich mich näher zu ihr und packte mit beiden Händen neben ihren Schultern die Polsterung der Rückenlehne. Ich passte sehr auf, dass ich nicht einmal zufällig ihren Mantel streifte.
    Der Mann betrachtete mich feindselig im Rückspiegel.
    Ich glaube, meine Gegenwart ist gänzlich überflüssig, sagte ich, und wenn sie erlaube, würde ich jetzt aussteigen.
    Als hätte sie meine Stimme erwartet, wandte sie nicht nur den Kopf, sondern drehte sich mit dem ganzen Oberkörper um, mit der Drehung ihrer Schulter presste sie meine Finger in die Polsterung hinein. Gerade hatte ich mich dem Mann zuwenden wollen, um mich kurz von ihm zu verabschieden. Doch wenn das jetzt so lief, mussten wir es so belassen, es so akzeptieren. Sie band mich mit ihren Schultern und ihrem Rücken an sich, ich verstrickte mich in sie, sie ließ mich nicht los, und auch mir wäre nicht eingefallen, mich loszureißen. Es war, wie wenn man einen Stecker in eine Steckdose steckt, der Strom beginnt zu fließen und das Licht geht an. Sie musste fühlen, wie gespannt und aufgewühlt mein Körper war. Aber durch ihren Mantel hindurch spürte ich, dass es für Nervosität keinen Grund gab, ihre Ruhe und Sicherheit konnten nicht einmal von ihrer momentanen Verzweiflung angekratzt werden. Und bei mir würde das Licht die nächsten zehn Jahre sowieso nur für sie angehen können. Das war’s, und fertig. Sie ruhte in sich selbst, bestand aus Vertrauen und Sicherheit, andere Regungen und Gefühle streiften sie nur an der Oberfläche, erschütterten sie aber nicht.
    Das Dunkel, in dem wir saßen, glitzerte, weil das hereinfallende Lampenlicht von den sich auf der Autoscheibe ansammelnden und rasch abperlenden Tropfen des Sprühregens zerstreut wurde, die Tiefe des Dunkels roch nach kaltem Rauch, nassem Haar, Mänteln, Leder und Parfüm, jetzt entdeckte auch ich den Gestank von hartem Schnaps darin.
    Das schwarze Haar des Mannes und die blonde Mähne der Frau dufteten verschieden.
    In dem Augenblick hatte für mich alles eine elementare Kraft, hatte Perspektive, Höhe, Tiefe, Schatten und natürlich ein unauslotbares Dunkel. Ob außen oder innen, elementare Kräfte spannten sich zusammen, und damit sie nicht so nackt sichtbar waren, sagten Worte das Eine und Gesten das Andere. Sonst hätten sie mich zerhackt oder gänzlich mitgerissen. Denn obwohl alles vom Gefühl der Hilflosigkeit durchwoben war, und ich war durchtränkt und durchdrungen von den Gefühlen der damaligen Zeit, von völliger Hoffnungslosigkeit, Angst, Enttäuschung, Kummer, Gereiztheit, Verkrampftheit und Anspannung, prallte es doch mit der elementaren Gewissheit zusammen, dass man lebte, und die eigene Atmung gab einem nicht einfach nur Sicherheit und ein gewisses Vertrauen in den nächsten Augenblick, sondern in erster Linie die Energie, mit der man vieles erträgt oder zumindest überbrückt. Während ich die Bemerkung vom Weggehenwollen machte, wusste ich schon, dass ich niemals mehr aus dieser Sache herauskommen würde. Ich wusste es, wusste es im Voraus. Sie durchschaute mich wohl, und ich befürchtete, dass mich auch ihr Mann durchschaute, während ich selbst überhaupt nicht begriffen hatte, wie und womit ich meine Erschütterung vor ihnen enthüllt hatte. Das Lampenlicht fiel jedenfalls mir ins Gesicht, ihre Gesichter waren im Schatten, aber in den Augen der Frau sah ich zweimal ein nicht misszuverstehendes Aufleuchten, mit dem sie mich beruhigen wollte. Als sagte sie beim ersten Mal, es steht zwar ziemlich schlimm, aber im Moment habe ich es noch im Griff, und bezöge sich beim zweiten Mal auf meine hysterische Angst, sie stellte sich mir in den Fluchtweg und befahl: Bleib, hilf mir.
    Doch das sagte sie nicht laut, sie passte ihre Worte eher den alltäglichen Anstandsregeln an.
    Sie sagte, aber bitte, ich solle ruhig gehen, das sei kein Problem, und da ich mich nicht rührte, weil ich nicht wusste, worin ich ihr helfen konnte, legte sie die Hand auf den Türgriff, umfasste ihn, die Tür öffnete sich wahrscheinlich schon ein wenig, sie wollte aussteigen und mich über den vorgeklappten Vordersitz

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