Parallelgeschichten
nicht sagen, eher aus der Tiefe seines Brustkastens. Als sänge er den einsamen Sang der Selbstvergewisserung. Mal steigerte er die Geschwindigkeit, mal drosselte er sie genauso plötzlich, es warf uns vor und zurück. Er ließ das Steuer lange los, dann wieder stemmte er beide Arme dagegen und riss es hin und her, ließ den Wagen zwischen den Gehsteigen tanzen. Es war nicht vorauszusehen, wie viel das alte Gerät, vielleicht ein Adler, noch vertragen würde. Die ganze Zeit drückte er rhythmisch auf die Hupe. Ich wusste nicht, wollte er mit diesem Amoklauf seine Frau auf die Probe stellen, war es eine mir zugedachte Demonstration oder rächte er sich an den hinter uns zurückgelassenen und sicher verblüfften Polizisten für das ewige Gefühl der Bedrohung; zeigte er ihnen ganz einfach den Finger.
In jenen Jahren tat man so etwas nicht.
Es war sonst schon gefährlich genug.
Klára klammerte sich fest an ihren Sitz, aber ihre Haltung ließ nicht erkennen, ob sie Angst hatte, ob sie sich bei alledem etwas dachte. Sie hatte sich zurückgezogen, auf neutrales Terrain, keine demonstrative Geste, aber natürlich doch deutlicher Ausdruck einer Überzeugung. Man forderte das Schicksal nicht unnötig heraus. Und während wir unter diesem triumphierenden Kampfgeheul hupend die Königin-Vilma-Straße, jetzt Gorkij-Allee, dann die Damjanich-Straße überquerten, musste ich einfach denken, Simon sei tatsächlich durchgedreht. Der fährt absichtlich gegen die nächste Hauswand. Er fuhr auf den Gehsteig hinauf. Unter schauerlichem Geschepper fegten wir ein paar hinausgestellte Mülleimer zur Seite.
Es konnte ja doch jemand nichtsahnend aus einem der Tore treten.
Ich rechnete damit, dass ihn Klára bremsen, dass sie sich etwas einfallen lassen würde.
In den paar Sekunden, in denen wir über den Gehsteig der Nefelejcs-Straße fuhren, hielt ich lieber die Augen geschlossen. Anders konnte ich mich nicht vor einem solchen Angriff des Wahnwitzes schützen. Vielleicht wäre es auch gefährlicher gewesen, etwas zu tun, als nichts zu tun. An der Ecke zur Dembinszky-Straße stürzten wir geradezu von dem hohen Gehsteig herunter. Als hätte er sich die Zunge durchgebissen, hörte er plötzlich mit dem Gebrüll auf. Er fuhr, als sei es die natürlichste Sache der Welt, schräg über die Straße und bremste auf der anderen Seite so scharf, dass es uns nach vorn warf.
Voilà, on y est
, sagte er, wir sind da, und er schlug wieder mit beiden Händen aufs Steuer, dass die Hupe aufblökte.
Erst jetzt blickte ihn Klára wieder an, und sie hatte wieder ein neues Profil.
Ich ziehe mich um, sagte sie trocken, gib mir zehn Minuten.
Fünf, sagte er.
Acht, sagte sie, und bevor sie ausstieg, warf sie einen Blick auf mich.
Sie wollte sehen, ob ich die Fahrt überlebt hatte.
Ich klammerte mich an ihre Aufmerksamkeit, aber diese kurze Ermutigung reichte mir nicht, um die nächsten Minuten durchzustehen. Sie ließ die Wagentür vorsichtig ins Schloss fallen, es klickte nur gerade, und ging mit raschen Schritten durch das dunkle, gähnende Tor. Der Mann lehnte sich über den Sitz, stieß die Tür noch einmal auf und brüllte ihr nach, sie solle Zigaretten mitbringen. Die Tür schnappte ein zweites Mal zu, es wurde endlich still, wieder ein unmöglicher Augenblick. Draußen rauschte der Wind, klapperte mit den Blechtraufen. Die Lebensgefahr hatten wir hinter uns. Er schaute mich im Rückspiegel so feindselig an, als habe er mit mir oder der Welt noch etwas vor, ich schaute zurück. Sein Blick war nicht zu deuten, ich wusste nicht, was er vorhatte. Der aus Kláras beruhigendem Blick gewonnene Vorrat war schon aufgebraucht. Jetzt hätte ich es wirklich nicht mehr begründen können, wenn ich wegging.
Es war schon ziemlich spät, aber was wäre das für eine Begründung gewesen.
Ich sagte, ich wolle mir ein wenig die Beine vertreten, aber ich dachte jetzt an nichts anderes mehr, als dass ich gehen wollte. Nicht abwarten, bis Klára zurückkam.
Natürlich dachte ich auch gleich daran, dass ich über die dunkle Aréna-Straße musste. Ich fühlte in den Gliedern schon das beschwingte Weggehen voraus, die befreit spazierenden Schritte.
Als erwarte mich unter den sturmgepeitschten Bäumen auf der anderen Straßenseite tatsächlich die Freiheit.
Ich nannte die Straße noch bei ihrem alten Namen, Aréna, hier nämlich stand das aufs Stadtwäldchen blickende Haus, das mein Großvater gebaut hatte und in dem ich geboren war. Und unter den großen
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