Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
Vom Netzwerk:
hinauslassen.
    Der Gedanke, wie es gekommen wäre, wenn ich tatsächlich ausgestiegen wäre, verfolgt mich seither.
    Wäre ich tatsächlich ausgestiegen, wäre ich bestimmt auch nie mehr ins Lokal gegangen, und mein Leben hätte eine ganz andere Richtung genommen. Dann hätte meine hysterische Angst die Oberhand gewonnen und etwas ganz anderes wäre mir zugestoßen. Bestimmt wäre ich auf der Margareteninsel jemandem begegnet, jemandem, der keine Frau war. Aber auch das kann ich nicht wissen. Vielleicht hätte ich den Wunderriesen wiedergetroffen, den ich sowieso nie mehr vergessen konnte. Aber es kam nicht anders, der Mann ließ den Motor an, in Sekundenschnelle, der alte Motor drehte röchelnd auf, Klára konnte die aufgehende Tür gerade zurückreißen.
    Unter uns spritzten Pfützen, die nasse Fahrbahn zischte, wir brausten auf der leeren Straße davon.
    Von da an sagte keiner mehr etwas.
    Geschehe, was wolle, wenn er betrunken am Steuer sitzt, dann soll er eben. Ich lehnte mich auf dem schmalen, ungefederten ledernen Rücksitz zurück, auch das war mir gleich. Wir bogen mit quietschenden Reifen in einer scharfen Kurve von der Nagymező-Straße in die Andrássy-Allee ein. Der Mann ist ja vielleicht nicht nur betrunken, sondern auch verrückt, ich ertappte mich bald schon dabei, dass ich seine Maßlosigkeit genoss. Ertappte mich dabei, dass ich mich nicht bloß festhielt, sondern dass meine Finger tasteten, meine Handflächen Streichelbewegungen machten, unwillkürliche Bewegungen, und enthüllende. Als würde ich etwas in Besitz nehmen, das ihnen gehörte. Haut wollte ich, und dazwischen dachte ich wieder an den Riesen. Ich tastete am fein gearbeiteten schwarzen Ledersitz herum, streichelte die perlmutt schimmernden stark geäderten braunen Zierbänder, die auf der Höhe der Rückenlehnen die vertikal abgesteppten Wülste der grauen Tapezierung einrahmten. Als entdeckte ich erst jetzt, dass im Inneren der alten Kiste alles makellos, bequem und luxuriös war. Zu ihr passte es, zu ihm nicht. Ich genoss die Geschwindigkeit, ihre verstockten Nacken, ihre Verrücktheit, meinen eigenen Wahn, genoss die gleichmäßig vorüberhuschenden Lichter, genoss, dass ich nicht wusste, was mit mir geschehen würde oder was ich mit meinen unabweisbaren Gedanken anfangen sollte. Ich genoss die kleine, ihnen abgewonnene Freiheit, die mich von meinem gewohnten Leben wegspülte, so dass mich alle Fragen nur noch aus der Entfernung zu berühren schienen. Ich überließ mich der rasenden Geschwindigkeit, die nach heutigem Maßstab bestimmt gar nicht so groß war, aber damals presste sie mir die Seele im Leib zusammen.
    Schon aus größerer Entfernung war zu sehen, dass vor dem Kaffeehaus Savoy Polizisten locker um einen offenen Einsatzwagen herumstanden und Zigaretten rauchten, trotzdem verlangsamte er nicht. Das Savoy war an diesem Abend leer, das Abbázia auf der anderen Straßenseite auch. Weiß gedeckte Tische im leeren Licht. Die ganze Stadt, gelähmt vom Ausnahmezustand, lag leer in der Dunkelheit, wenn auch voller Nachrichten und Schauermärchen, die verschreckten Leute zogen es vor, sich zu Hause zu ducken. Unter Quietschen und Schütteln rasten wir mit überhöhter Geschwindigkeit die Straßenbahnschienen entlang über die mit patschnassen Fahnen geschmückte Ringstraße. Aus irgendeinem Grund kamen die Polizisten nicht hinter uns hergestürmt. Ich wagte nicht zurückzublicken, wollte mir gar nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn sie uns folgten. Ein gutes warmes Gefühl, eine Art unbegründeter Sicherheit sagte, dass auch das unwichtig war, sollen sie eben kommen. Aber sie kamen nicht. Nach einer Weile verbreitete sich im Wagen angenehme Wärme, die nass gesprühten Scheiben waren beschlagen. Mir kam sogar der Gedanke, dass die Polizei ihn wegen seines Ledermantels für einen der ihren hielt, oder dass er so waghalsig fuhr, weil er es tatsächlich war. Gewöhnliche Polizisten trugen keine so feinen Ledermäntel. Auf der Andrássy-Allee rasten die im starken Wind bewegten nass glänzenden kahlen Äste der Platanen über uns weg.
    Nirgends ein Fahrzeug, ein Fußgänger.
    Die glänzende Wölbung der gepflasterten Allee warf sich uns dunkel zwischen die Räder. Kurz vor dem Körönd-Kreisel schrie ich unwillkürlich auf, pass auf, ein Hund, denn vom äußeren Gehsteig begann ein ziemlich großes schwarzes Tier auf den Wagen zuzurennen. Sein sichtlich überraschter, schreiender und herumfuchtelnder Besitzer warf sich ihm nach,

Weitere Kostenlose Bücher