Parallelgeschichten
vergebens. Der Hund rannte in einem steilen Winkel von ihm weg, vom Gehsteig herunter, lief über die Straße, wieder auf die Promenade, um sich von den umgegrabenen Blumenbeeten her auf uns zu werfen. Dann, warum auch immer, überlegte er es sich noch einmal und bellte unter den Bäumen mit vorgestreckter Schnauze und angespannten Muskeln den Rädern nach.
Es war aber nicht jener Hund.
Unsere Geschwindigkeit hatte sich nicht im Geringsten vermindert. Er fuhr nicht wie jemand, der die Gefahren missachtet oder sie geradezu herausfordert, um sich frei zu fühlen. Eher könnte man sagen, dass er zu jedem Zusammenstoß bereit war, koste es, was es wolle, seine wilde Entschlossenheit war nicht mit Freiheit oder Knechtschaft zu erklären. Er hielt das Steuer mit steif gespreizten Armen. Für nichts gab es eine wirkliche Erklärung. Auch dafür nicht, dass ich mich in dieser Anarchie oder diesem beginnenden Chaos zum ersten Mal wirklich wohlfühlte. Ich schämte mich ein wenig für den Schrei. Als hätte ich immer noch etwas zu verlieren.
Aber besser, wenn nichts so ist, wie ich es möchte, sondern alles so kommt, wie es kommt.
Von Kláras Körper aber kam keine Antwort.
Allerdings hatte auch niemand etwas gefragt, Personen und Ereignisse waren unabhängig voneinander. Am Ende überließ ich mich dem Gefühl, das Simon um sich verbreitete. Überließ mich der verrückten Hatz, die alle meine wirren oder schönen oder sonstigen Gefühle zudeckte und die Frage nicht einmal aufkommen ließ, wohin wir eigentlich rasten.
Ursprünglich hatte er wohl zum Heldenplatz am Ende der Andrássy-Allee hinausfahren wollen.
Wir hatten den wütenden Hund knapp hinter uns gelassen, als wir vom Kreisel aus sahen, dass jetzt etwas folgen würde, bei dem wir nicht so ungeschoren davonkämen. Aus der Distanz sah es aus wie eine unerklärliche Erscheinung. Irgendwo auf der Höhe der Bajza-Straße verstellten zwischen den baumgesäumten Gehsteigen zwei dunkle Blöcke die Fahrbahn. Zwischen den Blöcken nur ein schmaler, lichtgleißender Durchgang. Zuerst verstand ich gar nicht, was das war. Man sah eigentlich nur einen glühenden Lichtblock zwischen zwei dunkel dämmernden Blöcken.
Vielleicht hatte es Simon zuerst gesehen und begriffen, was es war. Da waren wir schon über die große Kreuzung des Kreisels hinausgerast. Er musste es in dem Moment beschlossen haben. Ohne das Geringste an der starren Haltung seiner ausgestreckten Arme zu ändern, riss er mit Hilfe seines ganzen Oberkörpers das Steuer nach rechts, dann, unter fürchterlichem Schlenkern, Schütteln und Quietschen, noch einmal, diesmal nach links, womit er glücklich vermied, in Blumenbeete und Bäume hineinzudonnern, er traf auch recht gut die Fahrbahn zwischen den beiden Gehsteigen, auf der er, ohne die Geschwindigkeit zu drosseln, weiterraste.
Ich muss zugeben, dass ich ihn bewunderte.
Die Erscheinung hatte eine einfache Erklärung. Um diesen Teil der Straße zu sperren, hatte die Polizei zwei Einsatzwagen einander gegenübergestellt, die sich mit den Scheinwerfern anleuchteten.
Was machten die da. Vielleicht war in der Stadt noch etwas vorgefallen, wovon wir noch nicht wussten, zusätzlich zu dem entsetzlichen Unglück vom Vormittag, am Ort der offiziellen Feierlichkeiten. Aber keiner von uns sagte oder fragte etwas. Vielleicht wollten sie Leute verhaften oder die Stadt unter völliger Kontrolle halten. Es blieb vieles ungesagt, sogar angesichts belangloser Unstimmigkeiten sagte man lieber nichts, weil man eigentlich immer auf Katastrophen gefasst war. Im Dunkeln unter den Bäumen standen die Lederbemäntelten in Gruppen. Eine so auffällige Straßensperre hatte es seit vier Jahren nicht mehr gegeben. Es war auch merkwürdig, dass sie das Stadtviertel gerade auf dieser Höhe absperrten. An dieser Ecke stand hinter seinem schweren Eisenzaun der Gebäudeblock der Sowjetischen Botschaft, jetzt im Dunkeln, und wenn man auf diesen baumbestandenen Straßen weiterspazierte, sah man, dass bis zum Epreskert alle Gebäude des Viertels dazugehörten, es war ein Klein-Moskau. Nicht einmal auf dieser Nebenstraße der Allee kam man durch den Kordon. Aber Simon bremste nicht, sondern bog, fast über den Gehsteigrand schrammend, in scharfem Winkel, zweimal auf die Hupe hauend, in die Bajza-Straße ein.
Das Spiel begann erst jetzt richtig, oder vielleicht war es gar kein Spiel.
Vielleicht wollte er der Frau etwas beweisen. Oder mir. Er brüllte. Nicht aus voller Kehle, das kann man
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