Parallelgeschichten
Platanen hinter der Kunsthalle gähnte, schwach erleuchtet, der im Souterrain gelegene Abort, wo immer Mengen von hungrigen Männern aufeinander warteten.
Er fragte, ob ich Zigaretten hätte, sagte, auch er würde sich gern ein wenig die Beine vertreten, siezte mich dabei aber strikt, was mich eher freute. Wenigstens diese Distanz zwischen uns war klar. Ich sagte, ich rauche leider nicht, was nicht ganz stimmte, und wir stiegen beide aus. Für mich war das umständlicher, ich musste ja über die vorgekippte Rückenlehne des Vordersitzes klettern. Damit es nicht so demütigend war, sagte ich, wenn ich mich recht erinnere, gibt’s da in der Nähe ein Wirtshaus. Während wir auf Klára warteten, könnte ich ihm ja dort Zigaretten holen. Er lachte auf, als wäre er auf seine Verlegenheit stolz. Er sagte, das sei sehr zuvorkommend, aber ein paar Minuten würde er es schon noch aushalten. Ein Wirtshaus hingegen gebe es tatsächlich, da, auf der anderen Straßenseite, wie er mir mit der Hand bedeutete.
Ziemlich müdes Kraut, was die da haben.
Es war ein Dreiviertel-Ledermantel, jetzt unter den Straßenlaternen sah ich, dass das Leder schon ziemlich in die Jahre gekommen war, die Oberfläche schuppig. Herrenchauffeure und Wirtschaftsverwalter hatten vor dem Krieg solche Mäntel getragen.
Da, auf der anderen Seite der öden, heruntergekommenen Straße, gab es tatsächlich noch das Wirtshaus. Vor seinem beleuchteten Portal standen, ihre Biere und Gespritzten in der Hand, wer weiß wie lange schon die Schatten von Männern. Das Wirtshaus gehörte zu den geheimnisvollsten Orten meiner Kindheit. Aus welcher Familie man auch stammt, in einer Stadt, in der man aufwächst, gibt es immer verbotene Orte. Das Wirtshaus war keine feindliche Welt, wenn nicht gerade die Betrunkenen randalierten, ging es eher friedlich zu, trotzdem wusste ich, da darf ich nicht hinein. Nicht, weil es jemand verboten hätte. Aber es drängte sich einfach nicht auf, keine Situation des Lebens verlangte es. Neustens fuhr der Bus Nummer fünf von da ab, das war jetzt die Endstation. Drinnen war das Wirtshaus rauchverhangen, es summte wie ein Bienenstock, so viele Männer, dass einige auf die Straße hinausgepresst wurden, sogar im Winter. An der Hauswand stand eine Bank. Auch auf der István-Straße verkehrte keine Straßenbahn mehr. Die Bank war blau gestrichen, wie die Busse, sie war für die pausierenden Chauffeure und Schaffner gedacht, auch wenn meistens Betrunkene darauf lagen.
Aus dem dunklen Stadtwäldchen lief der von nassen Bäumen duftende Frühlingswind ungehindert durch die Straße.
Und da geschah wieder etwas Peinliches, etwas, womit ich wieder nicht gerechnet hatte.
Hans von Wolkenstein
Er, von dem in Freiherr von der Schuers Arbeitszimmer die Rede war, stand als kleiner Punkt in der Landschaft. Mit seinem auffälligen, von schwarzen Strähnen durchzogenen blonden Haar.
Nicht viel mehr als eine Ameise, ein gepanzerter Käfer, ein nackter Wurm, den man aus Versehen zertritt.
Ein strahlend blauäugiger, borstenhaariger, sich ein wenig träge bewegender kleiner Junge, der nichts derartig Fatales oder Unangenehmes von sich dachte und fühlte. Jetzt gerade grinste er nicht, aber es bedrückte ihn auch kein schlechtes Vorgefühl. Überhaupt nichts, was darauf deutete, dass auf der Welt nicht alles in der besten Ordnung war, dass ihm von irgendwoher Gefahr drohte.
Die Jungen grübelten viel über die häufigen rassenbiologischen Messungen nach, er hingegen geriet nicht einmal dann aus der Ruhe, wenn sich ein Kamerad in der Morgendämmerung vom Ochsensprung stürzte und starb. Mit seinem dauernden Grinsen ärgerte er die Erzieher. Den anderen machte das ungeheuer Spaß, der wagt das. Wenn die Erzieher ihm bedeuteten, jetzt gibt es aber wirklich nichts zu grinsen, mein Kind, und er noch dämlicher grinste. Vielleicht fand er ihre Gereiztheit so lustig, vielleicht freute er sich, dass sie ihm noch mehr als üblich Beachtung schenkten, wofür er auch einiges zu unternehmen bereit war, er alberte und kasperte gern herum. Die anderen hielten ihn für waghalsig. Sie bewunderten und fürchteten ihn. Selbst hätten sie nie gewagt, so etwas zu tun oder auch nur zu beklatschen.
Die Erzieher meinten, die anderen lachen ihn aus, und die harte Lektion der Gruppe würde ihn schon auf Vordermann trimmen.
Aber im Gegenteil, sie lachten vor Freude. Unwillkürlich lachten sie alle zusammen über das, worüber zu lachen nicht angebracht war. Schritt für
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