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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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sprudelt Wasser verschiedener Temperatur herauf, das heißeste hat fast fünfundsechzig Grad, das kälteste durchschnittlich siebzehn Grad, alles von den Bademeistern so gemischt, dass das Wasser im sogenannten Männerbecken nie wärmer als einundzwanzig Grad ist. Wer nicht schwimmen will, kann im wärmeren Frauenbecken planschen. Sobald die Lufttemperatur tiefer sinkt, beginnen die offenen Becken zu dunsten, zu dampfen, förmlich zu rauchen, und an bedeckten Wintertagen senkt sich so dichter Nebel auf die umschlossenen Höfe, dass sich die Schwimmer dauernd für Zusammenstöße entschuldigen müssen.
    Auch jetzt dampfte es stark, die Windböen hoben die kleinen Dampfwolken und Flocken auf und trugen sie fort, oder sie bliesen den Dunst von der Wasseroberfläche, legten sie frei, während sie gleichzeitig unter dem Regen Blasen zu werfen und sich zu kräuseln begann. Der Wind tobte über dem Becken, der lange Zeiger der großen elektrischen Wanduhr an der gegenüberliegenden Hofwand rückte unterdessen gleichmütig vor. Der Sekundenzeiger war aber nur so lange sichtbar, bis ein Windstoß den nächsten Regenschauer gegen das gewölbte Uhrglas warf; dann war die Uhr für eine Weile blind.
    Es ging auf halb zehn.
    Den dritten Mann interessierte das kaum, weder die genaue Zeit noch der großartige Anblick des Frühlingssturms und noch weniger das, worüber seine Freunde redeten. Er gab sich keine Mühe, höflich zu sein, er heuchelte kein Interesse. Sonst war er eher ein gleichgültiger oder zumindest sehr zurückhaltender Mensch, diesmal aber schmollte er geradezu demonstrativ mit ihnen. Daher vielleicht seine unbequeme Haltung. Am Vorabend, beim gemeinsamen Essen im Fészek-Künstlerclub, hatten sie ihn beiseitegenommen und ihm mehr oder weniger überzeugend mitgeteilt, Viola und ihr Mann würden gleich nach der Öffnung kommen, ganz bestimmt, er solle um sechs im Lukács-Bad sein.
    Er müsse sie erwischen, sagten sie, bevor sie schwimmen ging, oder, rieten sie, wenn der alte Ehemann für längere Zeit in der Dusche verschwand.
    Er verschlief, musste rennen und kam doch noch rechtzeitig an.
    Dass ihn seine Freunde hereingelegt hatten, war nicht so schlimm, es geschah schließlich nicht zum ersten Mal, es war auch klar, warum sie so was machten, aber diesmal konnte er es ihnen nicht verzeihen. Etwas, er hätte nicht recht zu sagen gewusst was, war zu viel. Sie hatten ihn einfach vom Sportbad herüberlocken, ihn bei sich haben wollen, damit er nicht allein sei und vor allem nicht mit der dummen Gans, mit der er seit einer Weile zusammenlebte. Viola erschien um sechs nicht, auch später nicht, nur der alte Zahnarzt tauchte auf, von Viola keine Spur, was ihm gar nichts ausmachte, es war ihm sogar recht. Und so gab er sich der Hoffnungslosigkeit hin, die mit offenen Armen auf ihn wartete. Sie waren sich alle drei einig, dass Viola eine etwas laute, aber ansonsten zauberhafte Frau war. Seine Freunde schworen, sie habe es wirklich versprochen, Ehrenwort, aber sie sei eben unberechenbar. Er aber hasste diesen Ort, wo sich allmorgendlich die Budapester
crème de la crème
einfand. Und glaubte ihnen nicht. Viola war alles andere als eine zauberhafte Frau.
    Er verachtete sie für ihr Limonadeschwimmbad, wo man mit sechs Zügen das Ende des Beckens erreicht, und dass Viola seine letzte Chance sei, hatte er ernst gemeint. Na ja
, je m’en passerai bien.
Ohne sie wird’s leichter sein. Eine geistreiche, temperamentvolle Frau, und auch noch äußerst ansehnlich, eine Verwandte von ihm, wenn auch zum Glück keine Blutsverwandte. Wie auch immer, er hatte bei ihr kaum Chancen. Wie hatte er ihnen auf den Leim gehen können. Viola hatte ihn entschieden abblitzen lassen, ja, sich öffentlich über ihn lustig gemacht. Jetzt verstand er auch, warum sie und ihre jüngere Schwester als kleine Mädchen so viel hinter seinem Rücken gekichert hatten. Aus irgendeinem Grund hatten sie ihn fortwährend ausgelacht.
    Was natürlich gerade das Gegenteil hätte bedeuten können. Aber das tat es nicht, er wusste es, und das schmerzte. Trotzdem hatte er seine Hoffnungen nicht aufgeben können, und so ließ er sich eben leicht hereinlegen.
    Überhaupt hingen bei diesem Unwetter nur wenige Gäste im geheizten, verglasten Gang des Bads herum. Die drei plauderten am Ende der linken Kabinenreihe neben der Telefonzelle, in der breiten Nische, in der aus irgendeinem Grund der nicht unbedingt angenehme, dichte Schwimmbadgeruch feststeckte. Der mit André

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