Parallelgeschichten
vielleicht der Unruhigste war. Meines Erachtens lohnt es sich durchaus, die Genossen im Auge zu behalten.
Zuerst trocknete er zärtlich und rasch seine Hoden ab, dann rieb er an seiner üppigen schwarzen Schambehaarung, vielleicht etwas zu stark, und als er damit fertig war, kehrte er zu seinen Schultern, seinem Hals zurück, obwohl es dort eigentlich nichts mehr abzutrocknen gab.
Ach, André, mein Lieber, ließ sich, von einer merkwürdigen Gereiztheit gelenkt, der andere wieder vernehmen, ein mächtiger, blauäugiger, völlig weißhaariger Mann, dem weniger der wichtigtuerische Vortrag auf die Nerven ging als diese Art des Danebenredens. Das interessiert niemanden, glaub’s mir doch, niemanden. Auch dich nicht.
Du weißt also besser als ich, was mich interessiert, erwiderte aus der Kabine der nackte Mann, dessen gebräunter Körper so dünn war wie eine Klinge.
Ein lange Stille entstand.
Du wirst lachen, manchmal weiß ich es tatsächlich besser, brummte der Weißhaarige gutmütig.
Er redete mit einem etwas fremden Akzent, ebenso wie der sich abtrocknende Mann, doch während dieser eine leicht englische Note hatte und wie ein kleiner Junge nervös stotterte, redete der andere mit deutschem Einschlag und hatte ein volles, starkes, männliches Organ. Laut Geburtsschein trug er den klangvollen Namen einer altehrwürdigen Familie aus dem Erzgebirge, ohne den Titel eines Barons, aber nicht nur weil nunmehr auch im Erzgebirge Titel und Ränge abgeschafft waren, sondern weil er außerehelich geboren war und also nach dem Abstammungsrecht seinen Titel nicht führen durfte. Hans von Thum zu Wolkenstein, das wäre sein richtiger Name gewesen. Für die anderen ein Anlass zu Witzeleien, schon weil er auf seinen offiziellen Papieren den allerschlichtesten ungarischen Namen hatte, János Kovách. Man nannte ihn Hansi oder Hansi Wolkenstein, was zu einem guten Teil kindlich liebevoll gemeint war, aber ebenso viel deutliche Verachtung für die Deutschen ausdrückte, und dazu auch einfach eine Portion Wahrheit enthielt, da er als Kind offiziell Hans von Wolkenstein geheißen hatte. Seine Mutter, Karla Baronin von Thum zu Wolkenstein, hatte nämlich zwecks Abschwächung des Familienskandals beim standesamtlichen Eintrag ins Register den Familiennamen weggelassen und nur den Beinamen behalten.
Im Übrigen lebte die Familie Wolkenstein seit dem Spätmittelalter sowieso nur im Beinamen weiter, seit dem siebzehnten Jahrhundert waren sie auch nicht mehr im Besitz ihrer prachtvollen Burg.
Für sein Alter war Hansis kurzgeschnittenes Haar wirklich überraschend weiß, seine Augen waren von einem verletzenden Blau. Er lag ausgestreckt auf der breiten Bank, der offenen Kabine seines Freundes gegenüber, in einen flauschigen hellblauen Bademantel gehüllt, ein großes weißes Frottétuch um den Hals, den feuchten Kopf an den unbehaarten Schenkel des dritten Mannes gelehnt.
Er war wie ein großes wildes Tier, eine Art fauler Katze, auch wenn er sich zuweilen giftige Bemerkungen nicht verbeißen konnte. Die anderen hielten ihn deshalb für zynisch, vielleicht war er das auch.
Oder er hatte diese als männlich geltende Pose irgendwann zum Selbstschutz erkoren.
Die intime Lage seines Kopfes auf dem unbehaarten Schenkel des dritten Mannes deutete auf mehr als eine zufällige Berührung.
Dieser dritte Mann, mit dem Kopf seines früh ergrauten Freundes auf dem Schenkel, saß in der Ecke der weiß gestrichenen Bank, beinahe an die Armlehne gedrückt, und starrte unbeteiligt durchs Fenster aufs Schwimmbecken hinaus, wozu er sich mit dem ganzen Oberkörper unbequem verdrehen musste. Er trug keinen Bademantel und fröstelte, man sah es seiner Haut an. Vielleicht wäre er besser aufgestanden, um etwas anzuziehen, aber dann hätte er sich aus dieser körperlichen Berührung lösen müssen.
Hier, im Lukács-Bad, wurden Mitte September die großen Scheiben zwischen den Stützpfeilern eingehängt und jeweils gegen Ende Mai wieder herausgenommen. Um die zwei offenen Schwimmbecken liefen auf mehreren Stockwerken hölzerne Kabinenreihen wie Kreuzgänge um Klosterhöfe. Im Sommer war es ein Bienenkloster, auf den Stockwerken summten in Trauben die Badegäste um die sonnenbeschienenen Waben herum. Sobald die kühlen Nächte kamen, wurden die zu den oberen Stockwerken führenden Treppen gesperrt; im Winter lag Schnee auf den Geländern. Aber auch in diesem Moment war der Anblick nicht weniger überwältigend. Aus den Heilquellen des heiligen Lukas
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