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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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angeredete, ursprünglich András genannte Mann, mit Nachnamen Rott, weswegen ihn viele für einen Juden hielten, zog sich jeden Morgen in der hintersten Kabine um.
    Wer im Lukács-Bad etwas auf sich gab, hatte eine Kabine, was allerdings die entsprechende gesellschaftliche Stellung und Hofhaltung voraussetzte. Das hier waren András’ beste Freunde, obwohl er sie auch seine Untergebenen hätte nennen können. Sie kannten sich alles in allem sechs Jahre, aber an der Tiefe und Stärke ihres Zusammengehörigkeitsgefühls bestand kein Zweifel. Die aufdringliche Nacktheit András Rotts hatte ebenfalls mit der engen und rätselhaften Beziehung der drei zu tun. Auch wenn es sich nicht so verhielt, dass sie keine Geheimnisse, auch körperlicher Art, voreinander gehabt hätten. Sie hatten welche. Aber Rott schien die beiden andern nicht nur mit seinen Reden, sondern auch mit seinem nackten, schmalen dunklen Körper überzeugen oder in seinem Bann halten zu wollen. Es gibt bedeutendere Geheimnisse als die körperlichen, was auf ihre Beziehung nun wirklich zutraf.
    Demonstrative Nacktheit schien ihnen ein guter Schutz, in den man sich mit den unteilbaren Geheimnissen seines Lebens zurückziehen konnte. Mit der Nacktheit ihrer Körper bezeigten sie sich ihr bedingungsloses Vertrauen. André tat das umso lieber, als er aus einer militant katholischen Familie stammte und ihm feierlicher Exhibitionismus keineswegs fremd war. Außerdem zog er ihnen gegenüber öfter den Kürzeren, was er mit dem Vorzeigen körperlicher Vollkommenheit kompensierte. Auch wenn die anderen beiden auf ihre Art mindestens so vollkommen waren. Es war, als müssten sie ständig Beweise der Selbstaufgabe auseinander herauspressen, wobei das gemeinsame und gegenseitige Schweigen trotzdem das größere Gewicht hatte.
    Die beiden waren geradezu gegen ihn verbündet, und da Rott ein Gefühlsmensch war, nahm er heldenhaft den Kampf auf, rang mit ihnen, oder er lieferte sich ihnen lustvoll aus, obwohl in Wirklichkeit er der Mächtigste und Einflussreichste von ihnen war.
    Er sah an seinem Körper hinunter, der Anblick erfüllte ihn auch jetzt mit Befriedigung, er war es gewissermaßen wert, den anderen als Geschenk zu dienen.
    Und so schwieg er eine Weile. Dann ließ er seine Hoden los und zog mit einer einzigen raschen Bewegung die Vorhaut zurück. Zu seiner Verteidigung sei gesagt, dass auch die entblößte Eichel ordentlich abgetrocknet werden muss, weil sie sonst leicht schleimig wird und nach ein paar Stunden unangenehm zu riechen beginnt.
    Das aber ist der höchste Grad männlicher Nacktheit.
    In dieser Kabinenreihe durfte den örtlichen Gepflogenheiten gemäß keine Frau aufkreuzen. Wenn eine der Kabinenwärterinnen in einer dringenden Angelegenheit doch hier durchmusste, rief sie schon von weitem, Achtung, die Herren, ich komme, meine Herren, eine Frau kommt, Achtung, und um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, rasselte sie mit ihrem Schlüsselbund oder klopfte mit ihm gegen die geschlossenen Kabinentüren, aber auch so bekam sie von den nackten oder halbnackten Männern einiges zu hören, schön der Reihe nach, wie sie an den offenen Kabinen vorüberging.
    Bis zur Mitte der zwanziger Jahre hatten Frauen und Männer getrennt gebadet. Und noch jetzt wirkte diese strenge Tradition insofern nach, als man die Gänge der anderen nicht betrat. Obwohl es keine Verbotsschilder gab. Aber auch die Gäste, die nichts oder wenig von den strengen örtlichen Sitten wussten, spürten diese unsichtbaren Grenzen. Wer ahnungslos auf den Gängen zwischen den Trakten umherirrte, konnte leicht in eine unangenehme Situation geraten. Noch meinte er, auf neutralem Gebiet zu wandeln, da fand er sich plötzlich in der Gesellschaft nackter oder spärlich bekleideter Frauen wieder, die äußerst freundlich und fröhlich riefen, er solle nur kommen, sie würden ihm gleich den Pimmel abdrehen.
    Oder es stand plötzlich eine völlig nackte Frau vor ihm, die ihm ohne viel Federlesens ihr nasses Handtuch um den Kopf knallte.
    Im Frauenbecken, das inzwischen weniger von Frauen als von Kindern und dorthin verirrten Ahnungslosen genutzt wurde, schwamm jetzt niemand. Nur vom Verbindungsgang zwischen den beiden Flügeln des Schwimmbads, irgendwo aus der Nähe der Garderobe, waren Stimmen zu hören. In dieser Übergangszeit gab es außer ihnen dreien kaum Badegäste. Hinter den weißen Segeltuchvorhängen der Männerduschen lief das Wasser, Dampf schlug heraus, aber keiner der üblichen

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