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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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durch seine überraschenden Farbtöne. Er war mindestens einen halben Kopf größer als sie, hatte breitere Schultern und war insgesamt ausladender. Eine Art Idealgermane, ein grobknochiger, träger Waldbewohner, dessen Glieder die Natur ohne Feinheit oder Biegsamkeit geformt hat, der aber viel aushalten muss, wofür ihn die Götter mit entsprechenden Muskelpaketen ausgestattet haben. Nach seinen eigenen Worten hatte er in der Abiturwoche bemerkt, dass er grau wurde, und im darauffolgenden Sommer war er so weiß, als hätte die Sonne ihm die Blondheit weggesaugt. Der Arzt, den er aufsuchte, zuckte bloß mit den Schultern und wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Plötzlich steht da vor ihm ein achtzehnjähriger Junge mit schneeweißem Kopf. Seine Augenbrauen waren blond geblieben, lange schwarze Haare ragten heraus. Er trug einen Bürstenschnitt.
    In seinem Pigmenthaushalt musste etwas schiefgelaufen sein; etwas, mit dessen ersten sichtbaren Anzeichen er jenen Experten Kopfzerbrechen bereitete, die in Wiesenbad in einem zum Internat umfunktionierten Jagdschlösschen die Zöglinge untersuchten und Messungen vornahmen, um zu sehen, ob sie den strengen Anforderungen zur genetischen Auffrischung des rein nordischen Typs entsprachen. Sie kamen alle zwei Wochen aus Berlin, vom Kaiser-Wilhelm-Institut in Dahlem, wo seine eigene Mutter als Genetikforscherin arbeitete.
    Wer aufgrund der Messergebnisse oder wegen seines Betragens den Anforderungen nicht entsprach, wurde meistens doch nicht der Anstalt verwiesen. Ziel war, von Individuen, die unter ihren Vorfahren nicht-germanische Arier hatten, genau lokalisierbare statistische Daten zu sammeln. Hans wurde besonders eingehend untersucht. Schon als kleines Kind hatten sich schwarze Härchen unter seine blonden Augenbrauen gemischt. Eine Untersuchung folgte der andern, man wusste nie, zu welcher Kategorie man gehörte. Zuerst dachte Hans, mit ihm seien sie so gründlich, weil seine Mutter ihre Kollegin war, dann aber kam ihm ein Verdacht, kein unbegründeter, und er begann sich selbst misstrauisch zu beobachten.
    Diese verdächtigen schwarzen Härchen schienen immer mehr vorzuherrschen, obwohl er aufgrund aller Körpermaße und Charakteristika als rein nordischer Typ galt, so wie seine Mutter, die daran arbeitete, ihre Überzeugungen systematisch wissenschaftlich zu untermauern. Dieses spezielle Erziehungsinstitut war auf ihrem Gut im Erzgebirge eingerichtet worden, die Familie hatte das Jagdschloss auf unbefristete Zeit zur Verfügung gestellt. Als Hans zum ersten Mal begriff, dass man bei ihm etwas Unregelmäßiges entdeckt hatte, das ihn unwiderruflich entlarven würde, begann er die schwarzen Härchen heimlich auszureißen, aber er wurde ihrer nicht Herr. Es wurden zu viele, er musste es aufgeben, es war zu schmerzhaft. An seinen Lenden blieb die Behaarung blond, auch nachdem er am Kopf ganz weiß geworden war, was er immer als besonderen Glücksfall empfand, während an seinen Beinen, seiner Brust, seinem Bauch und später auch an seinem Rücken immer mehr unglückselige schwarze Haare auftauchten.
    Noch mehr als durch ihre erotische Ausstrahlung waren die drei durch ihre Lebensgeschichte verbunden. Das Schicksal hatte sie zufällig zusammengebracht und hielt sie seither streng aneinandergeschmiedet. Gehorsam neigten sie voreinander das Haupt. Über ihre früheren Erlebnisse sprachen sie nicht, weil ihnen der Austausch vertrauter Signale wichtiger war als das Sprechen, oder weil ihnen geraten schien zu schweigen. Wenn es ein paar Dinge gibt, über die man nicht sprechen kann, ergeben sich automatisch hundert andere Dinge, über die man ebenfalls schweigt.
    Höchstens, dass sie mit vorsichtigen Andeutungen die strikten Grenzen übertraten.
    Alle drei arbeiteten sie bei der staatlichen Nachrichtenagentur, oben auf dem Naphegy, und vom Fußvolk der Übersetzer trennte sie nur die Tatsache, dass sie im obersten Stock des hoffnungslos hässlichen, an einen militärischen Bau erinnernden Gebäudes eigene Zimmer bekommen hatten, schön weit weg von den Stürmen der Intrigen und dem ständigen Durcheinander, wie es die Arbeit in der Agentur mit sich brachte. Sie hatten drei miteinander verbundene, fast leere sonnige Zimmer und waren offiziell eine eigene Gruppe, mit André als Chef. Sie übersetzten streng vertrauliche Schriften und Regierungsverlautbarungen in Fremdsprachen, André ins Englische, Ágost ins Französische und Kovách ins Deutsche und Russische. Diese Dokumente

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