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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Mutter besuchen und sich im völlig zerstörten Dresden niederlassen, wurde dann nach einiger Zeit zu seiner größten Erleichterung nach Den Haag, Prag und schließlich nach Budapest versetzt, wo ihn die Russen aber nach ein paar Monaten ohne jede Begründung den Ungarn überstellten und er einen neuen Namen bekam, János Kovách, worauf er bald genauso hektisch wieder aus dem Nachrichtendienst abgezogen wurde. Im selben Jahr wurde Ágost zur Berichterstattung zurückbeordert, aus Bern, wo er in der ungarischen Botschaft offiziell als Kulturattaché gedient, in Wahrheit aber als der Südeuropa-Zuständige des ungarischen militärischen Nachrichtendiensts fungiert hatte. Danach durfte er nicht nur nicht mehr an seinen Stationierungsort zurückgehen, sondern überhaupt nicht mehr ins Ausland.
    Zum ersten Mal begegneten sie sich in ihrem besonderen Budapester Exil im Herbst fünfundfünfzig.
    Zurückgezogen hatte man sie aus völlig verschiedenen Gründen. Auch ihnen war nicht klar, wie lange der Zustand dauern würde, und keiner war besonders glücklich über diese womöglich lebenslange Unsicherheit. Alle drei warteten, verzehrten sich in Stille, aber auch das gehörte zu den heiklen Fragen, die sie weder miteinander noch mit anderen besprachen.
    Kein Wort, mit niemandem.
    Was sie verband, war ihre Vergangenheit, von der alle drei hofften, sie sei noch nicht vorbei. Die starke innere Dynamik dieser Vergangenheit nahm ihnen tatsächlich das Bedürfnis nach unverantwortlichem Geschwätz. Sie waren keine Durchschnittsmenschen, weder punkto Charaktereigenschaften noch Schicksal. Ihre Kindheit hatten sie, an weit voneinander entfernten Orten Europas, aber auf ähnliche Art sich selbst überlassen, in sehr verschiedenen Internaten verbracht, ihre Jugend in verschiedenen Kollegien. Nicht erst jetzt machten sie Bekanntschaft mit der Einsamkeit. André war im Kriegsengland zur Schule gegangen, Ágost in der neutralen Schweiz, Hans unter wahrlich außergewöhnlichen Umständen im Nazideutschland, von wo er dann auf illegalen Wegen nach Moskau gebracht wurde. Untereinander verwendeten sie die internationale geheime Zeichensprache, wie man sie ausschließlich in Knabeninternaten erlernen kann, und das taten sie schon deshalb, weil jeder von ihnen in seiner eigenen Sprache träumte, zählte, dachte. Auch darin waren sie sich ähnlich, dass sie die Ungarn nicht verstanden, sie weitgehend verachteten, und diese tiefe Verachtung war zu einem ihrer Lieblingsthemen geworden. Zwischen ihrem Denken, Benehmen, den Gegebenheiten der für ihre Kontakte verwendeten ungarischen Sprache und ihren eigenen sprachlichen Bedingtheiten waren die Spannungen so groß, gab es so viele Brüche, so viele erklärungsbedürftige Missverständnisse, so viele Risse, so viele unausgefüllte Leerstellen und Betriebsstörungen, dass sie sich ohne die Signale dieser stummen und bei allen dreien wohlverwurzelten Zeichensprache gar nicht ausgekannt hätten. Damit aber versetzten sie unwillkürlich ihre Aufmerksamkeit in eine Zeit zurück, brachten sie ihre Sensibilität in einen Zustand, der unerwähnt bleiben musste, weil er mit den Positionen ihres Erwachsenenlebens nicht zu vereinbaren war.
    Schon vor den Prüfungen der Adoleszenz war ihr Leben in den tückischen Untiefen und auf den Sandbänken des kindlichen Doppelbewusstseins von Zeitlosigkeit und Einsamkeit auf Grund gelaufen, und sie kamen da nicht mehr los, nicht einmal, als das Wasser kam und die Flut ihre Schiffe hob. Wahrscheinlich hatten sie auch deshalb das gefährliche Leben gewählt und ihre Freude daran. Es mochte ihnen zwar gelingen, sich und andere glauben zu machen, sie seien verantwortungsbewusste Menschen, aber sie verrieten sich, André mit seinem Stottern, Hans mit seinen ewigen Unterleibswitzen, Ágost mit seiner selbstzerstörerischen Gleichgültigkeit.
    Gegenseitig aber brauchten sie sich nichts vorzumachen.
    Es wäre auch gar nicht möglich gewesen, sie konnten voreinander nicht in Deckung gehen. Auf sich selbst gestellt und nicht minder selbstvergessen, spielten sie in ihrer Geheimsprache Familie, wie sie jedem von ihnen quälend gefehlt hatte. Das Spiel hatte eher mit der kindlichen Phantasie zu tun als mit dem Erwachsenenleben. Sie brauchten aus der Phantasiewelt, in der jede Geste über Leben und Tod entscheidet und dennoch alles spielerisch bewältigt wird, nicht herauszutreten. Die Rollen waren ganz so wie damals innerhalb der Mauern des Internats.
    Hans mochte zwar der Größte

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