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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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verschwunden waren, schaute er sich verstohlen im Garten um, machte sich dann in Richtung des Hauses auf. Die schön gepflegten Pflanzen schienen ihn zu beruhigen, dass alles in Ordnung war, noch immer Frieden herrschte.
    In dem ohrensausenden, bienensummenden Frieden lagen seine runden Kohlköpfe, in schönen dichten Reihen begannen schon die Kartoffelstauden zu trocknen, an den dunkel duftenden, hochgebundenen Tomatenranken hingen schwere, grüne Früchte, die in ein paar Tagen anfangen würden, sich zu röten; er empfand Befremdung, fast Ekel vor ihnen. Sein Grundstück hatte eine optimale Lage, die Bodenbeschaffenheit war günstig, es lag größtenteils auf dem einstigen Überschwemmungsgebiet, und die unfruchtbaren Sandhügel, die der Feldweg durchschnitt, hielten nicht nur die wilden Winde ab, sondern nahmen auch dem Sonneneinfall die Wucht, wobei sie nach Sonnenuntergang Wärme abstrahlten. Er musste rasch etwas anpacken, irgendwas. Er begann zu arbeiten wie an jedem normalen Tag.
    Dann überkam ihn doch der Fluchtinstinkt. Das Haus abschließen und in der endlosen Landschaft verschwinden. Auch die Luft wurde zum Leben erweckt, innerhalb seines Friedens begann ein unbarmherziger Kampf zu toben.
    Er verstand nichts mehr.
    Zwar war seine Frau nicht gestorben, aber seine Gefühle hatten ihn doch nicht ganz getäuscht. Da lungerte seit Wochen jemand herum. Ein Strolch, so nannten sie seinen Sohn. Und wenn sie erst noch wüssten, was für eine Art Schurke der war. Trotzdem kam er nicht ganz von den Vorstellungen los, die um den plötzlichen Tod seiner verfluchten Frau kreisten.
    Dass er sie nicht aus dem Herzen löschen, endlich einmal auf ewig vergessen konnte.
    Seine tote Mutter rief ebenfalls immer wieder dazwischen, bis dahin hatte sie jeweils leise gesprochen.
    Er packte einen runden Weidenkorb, in den er am frühen Morgen Bohnen gepflückt hatte. Die Mittagshitze und das Nervenfieber verbündeten sich gegen ihn und taten das Ihre. Diese Bohnen waren besonders schön, länglich, buttergelb, zart. Zur Üppigkeit seines Gartens trug bei, dass der Grundwasserspiegel hoch stand und in diesem Kessel zwischen den kahlgeschliffenen Sanddünen die ganze Nacht und noch am frühen Morgen dicker Dunst saß.
    Es gab zwar viel Ungeziefer, aber nicht einmal in der größten Hitze vertrocknete etwas. Er trug den Korb ins Haus, stellte ihn auf den Fußboden.
    Das aus gehobelten Tannenbrettern gezimmerte Haus bestand aus zwei winzigen Räumen, der Küche und dem Zimmer, und von der Küche öffnete sich noch eine Art Kabinett, nicht größer als ein Schrank. Er benutzte es als Speisekammer. Hier riss er jetzt die Tür auf. Natürlich war da niemand. Auf den Regalen reihten sich leere Gläser und das Eingemachte, Erdbeere, Johannisbeere, Stachelbeere, auf die war er besonders stolz. Wieder war in dem schwülen Dämmer das Zellophan über den Gläsern geplatzt.
    Um diese Zeit pflegte er sich das Mittagessen zu kochen, außerdem wollte er die Bohnen frisch für den Winter einlagern.
    Er fand das kleine Messer nicht.
    Im Haus herrschte militärische Ordnung. Alles war öd und kahl. Als bräche aus seinem Magen ein Rülpser herauf, begann er diesen Saustall zu verfluchen, aber er machte nicht sich selbst, sondern eine Drittperson dafür verantwortlich, dass er das verdammte kleine Messer schon wieder nicht fand. Die Möbel und die Gegenstände empfand er als staubig, ja, schmuddelig.
    Man hat mir das kleine Messer gestohlen, sagte er sich. Auch die Finger an seinen eigenen kräftigen Händen waren schmutzig, unter jedem Nagel der kompakte Halbmond aus Dreck.
    Jedem anderen wären diese Gegenstände als sauber erschienen, höchstens waren sie ein bisschen abgenutzt. Er hatte sie in mehrjähriger Arbeit an verschiedenen Orten zusammengeklaubt.
    Zum Beispiel das gesuchte kleine Messer aus seiner eigenen Budapester Wohnung entwendet.
    Um die Demütigung abzuschütteln, riss er sich das Hemd vom Leib.
    Aber er sehnte sich nicht mehr nach Beruhigung, er hatte auch nicht das Gefühl, verrückt geworden zu sein.
    Die von seinen Bewegungen verursachten Geräusche schienen anderswoher zu kommen, von jemand anderem, von etwas anderem. Von einem herumschleichenden wilden Tier, von seinem ihn belauernden Mörder. Auch die Tür zum Zimmer riss er auf, eine verstaubte Leere schlug ihm entgegen. Da stand das abweisend zugedeckte Bett, ein Luftzug fältelte den entfärbten Leinenvorhang vor dem sonnenbeschienenen Fenster.
    Er schmiss die Hose aufs

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