Parallelgeschichten
jene stumme Aufmerksamkeit in Bizsóks nächtlichen Stunden zu fehlen, obwohl er sein kleines Privileg verdienterweise genoss. Wenn er die Wohnwagentür hinter sich schloss, tat er es fast jeden Abend mit dem Gedanken, morgen würde er auch das in Ordnung bringen. Was zu Ende gedacht bedeutete, dass er sein Versäumnis am folgenden Tag gutmachen musste. Morgen beim Aufstehen würde er das Bett dieses anderen Mannes zu sich herüberholen. Er dachte nicht an Tuba, mit dem er seine Privilegiertheit teilen wollte, sondern an dessen Bett.
Er hatte sogar schon einen Platz ausersehen.
So ist’s doch für alle bequemer, auf die Art würde er es an dem eingebildeten Morgen diskret begründen.
Damit sich diese Zigeuner nicht mehr so zusammenpferchen müssen.
Für sich nannte er Tuba nicht Zigeuner. Morgens spukte ihm der gefährliche Satz noch durch den Kopf, denn seit Jakab bei ihnen arbeitete, begannen sie im anderen Wagen den Tag mit etlichem Gelärme. Bis zum Nachmittag hatte er zum Glück vergessen, was er vorgehabt hatte, und es fiel ihm immer erst wieder ein, wenn sie zur Ruhe gingen. Er beneidete sie nicht um das Gelärme, aber um etwas Unbestimmtes doch. Eigentlich hätte er es auch aussprechen können, in der Gruppe war ja kein Ungar mehr, vor dem er seine Großzügigkeit und Menschenliebe hätte verheimlichen müssen.
Den feierlichen Augenblick stellte er sich so vor, dass sie alle anwesend wären. Er stellte sich vor, was für eine tiefe Stille seinen Worten folgen würde. Aber gerade diese von ihm gehätschelte Vorstellung von der Stille hinderte ihn, die passende Gelegenheit zu finden.
Sie wussten alles voneinander, oder fast alles.
Hinter János Tuba stand sein toter Großvater, der ihn bis zu seinem zwölften Jahr großgezogen hatte. Alles, was er wusste, wusste er von ihm, auch die Aufmerksamkeit, den weiten Bogen seiner Bewegungen, die Gemächlichkeit und Würde hatte er von ihm gelernt. Sein Großvater hatte kein Haus, kein Feld gehabt, ihm hatte man nichts wegnehmen können. Schenken tat man ihm auch nichts, aber er hatte ein prima Beil, eine gute Querhacke, einige selbstgemachte Messer mit gerader und krummer Klinge. Vom Vorfrühling bis zum ersten Schnee waren sie die Mura entlang von Dorf zu Dorf gezogen. Solange der Großvater gelebt hatte, war er nur selten zur Schule gegangen. Wenn sich irgendwo die Polizisten dumm anstellten, oder wenn der Alte auf der Gemeindeverwaltung mit einer Geldstrafe bedroht wurde, blieben sie etwas länger, als es ihre Arbeit erforderte. Wenn das zeitig im Herbst geschlagene Holz ausging und der Großvater nicht einmal mehr aus den Hobelspänen etwas machen konnte, mussten sie weiterziehen. Lange Zeit hatte er nicht einmal gewusst, was Spielzeug ist. Seine Kindheit hatte er weitgehend ohne Kameraden verbracht, die ihn in Geheimnisse oder in sonst ein Wissen hätten einweihen können.
In der Schule beobachtete er die ungarischen Kinder mit großer Aufmerksamkeit, was trieben die da, er verstand weder ihre Freuden noch ihre Grausamkeiten noch ihre kleinen Tauschgeschäfte.
Er kannte ihre Gefühle nicht, ja, nicht einmal die ungarischen Wörter, mit denen die menschlichen Wesen ihre wilden Sehnsüchte und wechselhaften Neigungen festzuhalten suchen. Sie schliefen unter freiem Himmel. Er wusste auch kaum, warum der Großvater von den Seinen vertrieben worden war, warum sie beide vom Stamm verstoßen leben mussten. Den Winter verbrachten sie jedes Jahr im Gebirge hinter Rátka in einer gut versteckten Hütte, die der Großvater gebaut hatte. Sie hatten Ausblick, konnten den großen Bogen der weidengesäumten gefrorenen Mura sehen. Auch die Grenzwächter nahmen seinen Großvater nur ins Verhör, wenn sie einen Flüchtling suchten, dann aber schrien und fluchten sie, einmal nahmen sie ihn sogar mit, weil sie meinten, er lüge. Aber sehen konnte man ihre Behausung von keiner Seite, außer man sah den Rauch aufsteigen. Sie kamen erst vom Berg herunter, wenn die Schmelze begann und nachts das Eis auf dem Fluss knirschend in Risse zersprang.
Sie konnten zufrieden sein, man erwartete sie schon ungeduldig, wenn sie in eine Gemeinde kamen.
In jedem Haus hätten sie Herberge finden können.
Großvater Tuba hin, Großvater Tuba her, Ihr wisst ja, wie gern wir Euch haben, auch der Kleine hat’s doch mit den unseren schöner, so schmeichelten die Bauern den Alten zu sich.
Wegen des Essens braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen, die Frau kocht ja sowieso für neune.
Im
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