Parallelgeschichten
seine Männer. Die runden Augengläser waren ein eigentümlich altmodisches Ding. Das durchsichtige Gratisgestell, gewissermaßen schon mit den dunkel gebrannten Kissen seines fleischigen Gesichts verwachsen, war mit der unerbittlichen Zeit gelb geworden. Akkumulatoren erschöpfen sich, Achsen verbrauchen sich, in den Molekülen künstlich hergestellter Stoffe vermindert sich die Kohäsion, aber Bizsók konnte die Sehnsucht nach Ewigkeit nicht einmal dann unterdrücken, wenn es sich nur um eine Brille handelte. Er arbeitete nicht für sich, nicht für seine Familie, sondern eigentlich, ob im Apfelhain, ob auf den Landstraßen, für die Ewigkeit, oder mindestens gegen die Vergänglichkeit.
Dieser besonnene, erfahrene Mann führte seit Jahren einen Kampf gegen das natürliche Schicksal seiner Brille. Nicht einmal sein eigenes Leben hätte er höher gehalten, an der Front und in der Kriegsgefangenschaft hatte er ja gelernt, nicht viel darauf zu geben, seine Brille aber behandelte er mit einer fast schon unvernünftigen Umsicht, wie sich selbst oder andere nie.
Ihren besten Platz hatte sie auf dem breiten Rücken seiner etwas platten Nase, wo sie ihr von Winterkälte und Sommerhitze angegriffenes Material aus der Wärme der Haut, dem feinen Fett der schwitzenden Poren nähren konnte. Bizsók nahm sie nie unnötig ab. Nicht einmal, wenn er aus der Kälte kommend einen warmen Raum betrat und sich die Gläser beschlugen. Er besaß da etwas, worauf er nur aufpassen konnte, indem er es so wenig wie möglich berührte. Auch mit seinem Schicksal konnte er ja nur zufrieden sein, wenn er nicht daran zu denken brauchte.
Mit vollem Namen hieß der Brillenmann István Bizsók.
Die Straßenbauer, die in Wirklichkeit nie neue Straßen bauten, sondern alte Landstraßen reparierten, zogen zwei alte, grau gestrichene Wohnwagen an ihre Arbeitsstellen mit. Den einen Wohnwagen nannten sie Büro, weil da unter dem vergitterten Fenster ein kleiner, mit Packpapier bezogener Tisch stand. Bizsók bewahrte dort die Schnittskizzen der zu reparierenden Straßenabschnitte auf, die Voranschläge und Berechnungen des voraussichtlichen Materialverbrauchs, die Belege des Materialbezugs aus dem Lager, die Arbeitsprotokolle, die Präsenzlisten, ein Lineal, ein paar Bleistifte, Radiergummis, aber sonst nichts. In der verschließbaren Schublade hatten die Lohntüten ihren Platz. Unmittelbar neben der Tür stand der Kochherd, wo sie in den Herbst- oder Vorfrühlingsmonaten oder an regnerischen Sommertagen ihr Essen kochten.
In der dämmerigen Tiefe des Wagens stand Bizsóks als bequem geltende Liegestatt. Der andere Wagen diente den vier Zigeunern als Unterkunft.
Diese beiden Wohnwagen stellten sie manchmal im rechten Winkel zueinander auf, so entstand ein kleiner Hof, manchmal parallel, dann hatten sie für ihr Gemeinschaftsleben eine kleine Straße.
Sie verwandten große Sorgfalt auf die Aufstellung der Wohnwagen, auf den Ort, wo sie sich niederließen. Was für Volk in der Gegend lebte, ob sie wilde Hunde hatten, was in der Nähe war, was weiter weg. Die Zigeuner der Tiefebene sahen traditionsgemäß die Bauern nicht als Menschen an, sie fürchteten sie wie wilde Tiere. Tuba seinerseits stammte aus Transdanubien, aus der Gegend der Mura, und so hielt er es mit allem anders, auch gegenüber den Ungarn verhielt er sich anders. Er kannte die Kroaten, die Serben, die Südslawen, und er behauptete, die seien noch wilder und grausamer als die Ungarn. Denn ist der Ungar allein, ist er feig, die hingegen seien auch noch wild, wenn sie weit und breit keine Hilfe haben. Bizsók musste besonders aufpassen, dass die Ortsansässigen nicht die Zigeuner verdächtigten, wenn ihnen etwas abhandenkam. Man musste wissen, woher die Winde wehten, wo das Wasser, wo der Brunnen war. In diesen heiklen Fragen verließ er sich seit etlicher Zeit auf Tubas Urteil. Er war der erste Zigeuner in der Gruppe gewesen, János mit Namen, so viele Ungarn aus der Firma ausgeschieden waren, so viele Zigeuner waren gekommen.
Bizsók hatte später die Téglás-Brüder geholt, und die ihrerseits den Sohn ihrer unglücklichen Schwester, diesen armen kleinen Jakab, der erst seit ein paar Wochen bei ihnen arbeitete.
Solche schweren, schlechtbezahlten Arbeiten machten die Ungarn nicht.
Tuba war bei Arbeitsantritt kaum älter gewesen als der kleine Jakab jetzt. Zigeuner hätte die damalige Gruppe um keinen Preis haben wollen, aber der war in Erscheinung und Benehmen so, dass sie ihn stumm
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