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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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einzige Voyeur.
    Auf dem rosaroten Badetuch rollte sich die Athletin auf die Seite, zeigte ihren aufdringlich starken Körper, ihr feuerrotes Schamhaar. Als wäre nichts dabei, schloss sie mit einer ruhigen Bewegung das Buch, nahm die Brille mit beiden Händen ab und legte sie ordentlich auf den Buchdeckel.
    Denn jetzt hatte sie doch die Nase voll. Offensichtlich wollte sie zur Tat schreiten. Sie nahm mit ihrem Blick Döhrings zügellosen Blick richtig an die Kandare, und jetzt grinste sie ihn nicht mehr so unangenehm an.
    Döhring war fast sicher, dass sie Kugelstoßerin war, er konnte sich auch vorstellen, wie sie mit ausgestrecktem Arm den Speer warf oder den Diskus. Oder sie war Trainerin, und das äthiopische Mädchen Kurzstreckenläuferin. Es meinte das auf Sportbahnen verflochtene Leben dieser beiden Menschen vor sich zu sehen.
    Er machte sich Vorwürfe, mein Gott, in was bin ich hineingeraten.
    Seine Stiefmutter redete so, immer etwas weinerlich, er musste sie Mutter nennen und er hasste und verachtete sie genauso wie seinen Vater.
    Nein, mit solchen Menschen durfte er nichts gemeinsam haben.
    Das aber klang wie ein väterliches Verbot.
    Wozu der unbezähmbare Hass auf sie, wenn er trotzdem mit ihrer Stimme zu sich redete. Oder der verirrte Provinzler sprach aus ihm, den der plötzliche Anblick vieler unbekannter Menschen, vieler unbekannter Bewegungen so aus der Fassung bringt, dass er seine eigenen Eindrücke nicht verstehen kann.
    Aber es kam ihm nicht einmal der Gedanke, dass er in diesem Fall aufstehen und ruhig anderswohin gehen konnte, es zwang ihn ja niemand, sich hier aufzuregen.
    Er beruhigte sein aufgewühltes Gewissen damit, dass er diese seltsamen Gestalten zwar sah und ihm ihr ganzes fürchterliches Treiben klar war, aber dass er nicht dazugehörte. Er schaute doch bloß aus gebührender Distanz zu, guckte doch bloß, seine Eltern hatten keinen Grund zur Beunruhigung. Er benahm sich anständig.
    Aber gucken durfte man auch nicht.
    Und so merkte er plötzlich, dass ihm auch sein Gewissen nicht gehörte.
    Diese füreinander Gleichgültigkeit mimenden nackten Menschen hatten ihn überwältigt. Das war nun ein Ort auf der Welt, den er von früher her kannte, mit dessen Wirklichkeit und Nähe er aber trotzdem nicht gerechnet hatte. Es traf ihn unvorbereitet. Endlich sah er die Rückseite eines sich harmlos und arglos verstellenden vertrauten Bildes, wo zwar jede Bewegung grob, dick aufgetragen, ja, abscheulich erschien, aber voller roher Kräfte war, denen er nichts anderes entgegensetzen konnte als seine eigenen Verstellungen. Zum ersten Mal im Leben entdeckte er in sich den ewigen, unverbesserlichen, hassenswerten Heuchler, den er an seinen Eltern so verachtete und ihnen so vorwarf, dass er nicht mehr mit ihnen redete.
    Deshalb hatte er ja fliehen müssen, auch wenn es wehtat, dass er kein Zuhause mehr hatte, aber er hatte auch nie eins gehabt. Jetzt saß er da im Bild und musste der großen, entsetzlichen Leere ins Auge blicken.
    Doch das Entsetzen hielt ihn überhaupt nicht vom schamlosen Gaffen ab, im Gegenteil, er jubelte.
    Endlich, da ist es, auf der Welt gab es einen solchen schamlosen Ort, und hier war er. Hierher brachten sie alle ihre Verstellungen und zeigten sie sich gegenseitig.
    Für diesen leidenschaftlichen Jubel blieb allerdings nur ein Augenblick. Der Heuchler darf sich nicht gehenlassen, darf keinen Spalt offen lassen, er muss ja in erster Linie nicht die anderen, sondern sich selbst betrügen.
    Schon stürzte der weiße Riese den Abhang hinunter, und was Döhring von da an sah und miterlebte, war in keinster Weise Verstellung.
    Dieser Riese schien ein Mensch, dem Freundlichkeit, Heiterkeit und Gutmütigkeit aus allen Poren strömten. Als sei er dauernd in Verlegenheit, als spiele er mit allem, als müsse er sich fortwährend für seine Kraft entschuldigen, wobei er sich auch dessen bewusst war und auch damit spielte.
    Als nähme er sich nicht ganz ernst.
    Nicht, weil er eine kühle Intelligenz hatte oder seine eigenen Eigenschaften weise durchschaute, sonder eher, weil nichts Bösartiges an ihm war. Mit seinem dauernden Spiel rundete er alle unangenehmen Kanten ab, weichte er alle aggressive Härte auf. Sein mit rötlich blondem Flaum bedeckter Körper leuchtete auf dem grünen Gras. Döhring sah nur seinen Rücken, seine enormen Schultern, seinen dicken Nacken, seinen mächtigen Schädel mit dem zu Borsten geschnittenen rötlichen Haar und, während Sekundenbruchteilen, sein

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