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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Ostern, es wird Pfingsten. Gibt’s doch nicht.Wir rollen langsam vor uns hin und warten. Ich jetzt also: Smile! Ein Bild von ausgesuchter Leichtigkeit! Noblesse oblige! Indeed! Ein bisschen wie die Queen of England. Aus irgendeinem Grund fühle ich mich dadurch besser. Merkliches Sinken des Pulses. Man kann getrost sagen, Frauen wirken bei latenter Aggression manchmal wie ein Regulativ. Manchmal. Und manchmal sind sie genau der Auslöser. Das ist doch Fakt, isn’t it!
    Der Kotzbrocken erreicht unversehrt den anvisierten Gehsteig, ein halb bösartiges, halb versonnenes Stirnrunzeln auf seinem grobschlächtigen Gesicht. Und wir fahren weiter, und diese Szene löst sich in Wohlgefallen auf. Als wäre gar nichts, aber absolut gar nichts, gewesen. Und ich kann mir meinen Ärger über diese Lappalie nicht mal ansatzweise erklären.
    »Sehr lieb, dass du uns abgeholt hast«, sage ich, als wir vor meiner Wohnung halten. »Komm noch mit hoch«, füge ich nahtlos an, wie nebenbei, in völlig selbstverständlichem Tonfall, der nichts in Frage stellt, und zeige mit dem Kopf auf die Haustür.
    Sie studiert mit schräg gehaltenem Kopf die Buchrücken in meinen Regalen, als ich mit zwei Sektflöten und einer Flasche unterm Arm ins Wohnzimmer komme. Was immer meine Bibliothek über den Charakter ihres Besitzers verraten mag, Eindimensionalität ist es nicht.
    Ilse hat die Wohnung zur Begrüßung mit ein paar Blumen geschmückt. Rote und blaue, Gestrüpp dazwischen. Es duftet schön.
    Esther steht vor dem dunklen Aquarium, starrt hinein und versucht wohl vergeblich etwas zu erkennen. Alles, was zu beobachten ist, sind ein schwarzer Brummer, der reglos wie ein Fossil aus grauer Vorzeit auf dem zerklüfteten Kiesboden liegt, sowie zwei kleine, längliche Zierfischlein, die durch die flüssige Schwerelosigkeit schweben und aussehen wie Wunderkerzen.Sonst nichts, nur nächtliches Meeresidyll, unterseeisches Gebirge. Auch Fische haben Schlafenszeiten. Vor allem, wenn Gäste da sind – hab ich manchmal das Gefühl.
    Ich drücke Esther ein Glas in die Hand. Wir nehmen auf dem Sofa Platz, und ich schenke uns ein. Im Auto haben wir schon so viel geredet, dass unser Bedürfnis nach verbalem Austausch angenehm gesättigt ist.
    Ihr BH lässt sich vorne öffnen.

45
    _ Weil ich nicht mehr bei Lutz & Wendelen bin,
    _ weil ich mich selbständig gemacht habe,
    _ weil Esther und ich in den zweieinhalb Wochen, die ich in Nowosibirsk war, täglich telefoniert haben,
    _ weil ich etwas dermaßen Ungewöhnliches erlebt habe und es sich auch außergewöhnlich anfühlt,
    _ weil die Presse hinter mir her ist,
    _ weil alles anders ist als vor meiner Abreise,
    _ weil der Restbetrag in Höhe von neunhunderttausend Euro heute Nachmittag mein Konto gen Moskau verlassen hat,
    _weil ich heute kein Insidon angerührt habe und dennoch irgendwie auf Droge bin,
    _ weil sie sich während meiner Abwesenheit um Fynn gekümmert hat, sich viermal mit ihm getroffen und den Elternabendtermin für mich wahrgenommen hat,
    _ weil es vielleicht einfach an der Zeit ist, und
    _ weil Montag ist, werden wir gleich miteinander schlafen. Wir küssen uns, ohne Umschweife. Nicht »eine Hand nähert sich vorsichtig der anderen«. Nicht »sanftes Streicheln der Wange bei tiefem Augenkontakt«. Kein großes Rumgetue,kein Vorgaukeln der Balzmischung aus Verlockung und Unerreichbarkeit, kein Fall von Hoffentlich-sagt-sie-nicht-ja, aber auch keine schnelle Nummer, kein gekünsteltes Lachen, das nur dazu dient, unser stillschweigendes Übereinstimmen zu verdecken, kein kokettes Alles-kann-nichts-muss-Gehabe, keine lächerlich liebkosenden Stimmen, keine Scheinwiderstände, die es zu brechen gilt. Je aufwendiger und verliebter das Baggern in der Anfangsphase, desto extremer ist bloß der spätere Abwehrreflex. Diese Gefühlsduselei ist mir sowieso ganz und gar fremd. Der leidenschaftlichen Liebe wird eine viel zu hohe Bedeutung beigemessen. Das bringt’s nicht.
    Wir tasten uns langsam an die Grenzen der Intimität heran. Und es fühlt sich gut an.
    Meine Zunge erkundet ihren Rachenraum. Ich merke: Sie ist bereit für mich. Sicher? Ich meine: ja. Ich habe mich nicht getäuscht. Und ich bin in solchen Annahmen sehr vorsichtig, da ich nichts hineininterpretieren möchte, wo gar nichts ist. Aber manchmal sind Schwingungen so stark, dass man sich wie ein Heuchler vorkäme, sie wegzudiskutieren. Klare Sache. Und doch: ein enormes Gefühl der Erleichterung, sich hundertprozentig sicher sein zu

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