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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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zusammengeknäulten überglücklichen Personen über die Schulter, bis wir uns außer Sichtweite entfernt haben. Esther ist auf den Verkehr konzentriert und bekommt die Familienzusammenführung nicht mit. Wahrscheinlich ist Bens Schwester auch da. Sarah. Sarah ist eine furchtbare Trantüte mit Raffgebiss. Sie hat eine gewisse Ähnlichkeit mit einem toten Hasen, ist aber deutlich lebloser. Überhaupt sind Ben und Sarah erstaunlich beispielhaft für die unerbittlichen Launen der Natur: Beide kommen aus demselben genetischen Stall, aber Ben sieht aus wie ein Männermodel. Und Sarah wie der optische dritte Weltkrieg. Ja, nicht mal wesensähnlich sind sie einander. Ben ist ein Karrieretyp mit Hirn, Drive und Schwerenöter-Qualitäten, Sarah hingegen istunübersehbar eine intellektuelle und soziale Abfalltüte im Low Price-Bereich, von der charismatischen Strahlkraft einer ausgebrannten schwarzen Glühbirne und dem Temperament einer Biotomate. Wie kommt das? Damit kann man doch gar nicht zurechtkommen, als benachteiligter Geschwisterteil. Was man auch tut, es nützt nichts, es ändert nichts. Jeder Versuch im Voraus zum Scheitern verurteilt. Aussichtslos. So was ist eine lebenslange Bewältigungsaufgabe für den unattraktiveren Teil einer solch unseligen Paarung. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach.
    Vielleicht ist Sarah auch gar nicht nach München gekommen. Sie wohnt in irgendeiner Stadt mit A und hat bestimmt ihren Arsch mal wieder nicht hochbekommen. Sitzt in diesem A auf ihrem Pulverfass schwelender Selbstzermarterung und immer hasserfüllter werdender, uneingestandener Eifersucht. Ich glaube, ich weiß gar nicht, wie recht ich habe.
    Esther (Einzelkind) biegt rechts ab. Wir gleiten weiter durch die Nacht. Ich (Findelkind) entspanne mich, schließe die Augen. Regenprasseln, vermischt mit dem Schnurren des Getriebes. Ich drücke auf den Knopf an der Mittelkonsole und öffne das Fenster einen Spalt. Der nasse Wind (himmlisches Kind) führt beißenden Rauch mit sich. Es riecht nach den dreckigen Kaminöfen vor zwanzig Jahren, als alles noch vor mir lag. Das reicht schon. Es ist wie verhext. Gerüche lösen bei mir oftmals Flashbacks aus. Schon höre ich wieder diese Stimme, Christians Stimme. Immer präsent, nie anwesend. Stunde um Stunde. Aber ich lasse mich von ihr nicht außer Gefecht setzen, dafür ist sie zu vertraut.
    Zur Ablenkung beiße ich in meine innere Unterlippe, erzähle Esther, dass ich vor meinem Abflug mit Fynn telefoniert habe. Sie weiß das bereits. Von ihm.
    Als wir weiter durch die nächtliche Innenstadt fahren, schalte ich das Radio an. Ein Oldie dudelt aus den Boxen. InPhasen seelischer Zerrissenheit bekommen Schlager immer etwas Tiefgründiges für mich, wo ich sonst nur Seichtheit erkennen kann. Darum bin ich fast ein wenig ergriffen von dieser bräsigen Melodie, die von der Wirkung, würde ich sie zu Hause auflegen, nicht dasselbe wäre, wie im Radio.
    Ich erzähle Esther, welche absurden Situationen ich durchgemacht habe. Und ich sehe ihr dabei, wenn sie mal kurz vom Verkehr zu mir rüberschaut, in die Augen.
    Wir sind gleich bei mir.
    An einer Kreuzung, etwa einen Kilometer von meiner Wohnung entfernt, verlangsamt ein Fußgänger fast augenblicklich seinen Gang beim Überqueren der Straße, als er sieht, dass wir uns nähern. Er tut das betont beiläufig. Und das um Mitternacht. Dieser provokative Schlunz. Wir müssen bremsen, was ihm gefällt. Ein Phänomen, das sich maximiert, je größer das Auto des Opfers ist. Das lässt sich nicht in Abrede stellen. Das ist halt so. Das ist wohl menschlich. Der Mensch und die kleinen Freuden, mit denen er sich bei Laune hält. Vielleicht erwartet man einfach zu viel. Es zeugt von der Überreiztheit meiner Nerven, unter der ich in letzter Zeit leide, dass ich drauf und dran bin, aus dem Wagen zu springen und diesem halsstarrigen Dummbatz mit Wampe und Habichtgesicht (F-Gattung) eins in die Fresse zu hauen. Ich hätte nicht übel Lust dazu. Seine Untat liegt gerade außerhalb meiner Toleranzgrenze. Der weiß, wie’s geht. Obwohl wutdurchglüht, sage ich aber nicht mal was Ordinäres. Wegen Esther. Stattdessen bescheide ich mich mit einem pseudo-entspannten Lächeln, welches ich mir nur für ganz außergewöhnliche Anlässe aufhebe. Zum Beispiel Einweisungen in die Geschlossene, Exhumierungen oder Hexenverbrennungen.
    Das Sackgesicht nähert sich doch tatsächlich in Schildkrötengeschwindigkeit der anderen Straßenseite. Es wird Weihnachten, es wird

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