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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Haarknoten, auffallend unauffällig, und schaut angewidert weg, als ich sie ansehe. Was mir ein unangenehmes Gefühl meiner eigenen Gegenwart gibt. Sie steht einfach so rum. Es liegt eine gewisse Boshaftigkeit in ihrer Körperhaltung und ihrer kaum verhohlenen Observation, etwas Herausforderndes und Verabscheuungswürdiges. Sie scheint etwa fünfzig zu sein, wobei mansich bei diesen Frauen mit streng zurückgekämmtem Haar nie sicher sein kann. Ihre feinknöcherige Nase strahlt etwas ständig Nervöses, Hexenhaftes aus. I wouldn’t wanna fuck you, denke ich mir und verschwinde Richtung des wenige Schritte entfernten Cafés, Kategorie Bumslokal, in dem ich gedenke, einen Morgenkaffee zu mir zu nehmen. Und vielleicht ein belegtes Brötchen. Bevor ich reingehe, ziehe ich mir die Mütze vom Kopf und richte meine Haare. Ich habe mir noch nicht mal einen Platz ausgesucht, tendiere aber zu dem freien Zweiertisch vor mir, als die Hexe auch schon reingestürmt kommt und in schneidendem Ton plärrt: »Ein Dieb. Ein Dieb. Ich habe es genau gesehen!« Dabei zeigt sie erregt auf mich und fuchtelt wild mit der anderen Hand umher. Was für ein Radau! Rundum kollektives Luftanhalten. Angesichts dieses Spektakels kriegen alle Gäste solche Ohren und starren erst in ihre, dann in meine Richtung. Sie üben sich in Zeitlupen-Synchronschauen. Verdichtung von Stille. Ich schaue die Frau an, als wäre sie blöd. Und liege damit genau richtig. Ich weiß erst gar nicht, was los ist. Dieb? Wen meint sie denn? Meine Wenigkeit? Wirklich? Lass mich raten. – Ja.
    Sie vermeidet Augenkontakt mit mir und schreit weiter in den Raum: »Er hat die Zeitung da gestohlen. Ich habe die Polizei gerufen. Er hat sie gestohlen. Ich hab’s gesehen. Und –« Damit unterbricht sie sich gewissermaßen selbst und zeigt flüchtig auf mich, sieht dabei aber zu einer Bedienung. »Jetzt kommt gleich ein Wachmann, dem habe ich alles gesagt. Der nimmt Sie fest. Der Wachmann. Der nimmt ihn fest.« Ja, was denn nun? Auweia. Klar ist sie irre. Aber das sollte einer Irren eigentlich nicht zum Vorwurf gemacht werden. Frauen ab 40 werden alle entweder esoterisch oder hysterisch.
    Sie wütet und stammelt weiter: »… Gehört eingesperrt … Skandal … Hab’s gesehen!« Mit einem gehörigen Maß an Triumph in der Stimme. Und zornesrotem Kopf.
    »Aber …!«, improvisiere ich lahm und stehe da, als würde ich gerade im Stehen Stuhlgang haben. Ich weiß immer noch nicht, wieso-weshalb-warum, bis mir einfällt, dass sie mich nur
eine
Münze in den Zeitungskasten hat einwerfen sehen (und hören) und schlussfolgert, ich hätte die Zeitung unterbezahlt. Was ja in dem Fall auch nicht exakt
stehlen
wäre.
    Sooo ist das also, du kleine Denunziantin! Was dir fehlt, mein alterndes Landmädel im Lodenmantel, sind bloß noch die Waffen-SS-Runen auf deinem scheiß Revers. In dem Versuch, so etwas wie nüchterne Distanz zu wahren, setze ich mich während all dem Trubel langsam auf den Hocker des anvisierten Hochtisches. Das schmeckt ihr gar nicht. Alle in dem gutgefüllten Laden sehen unverändert auf die hysterische Ziege, dann auf mich, dann auf die Ziege und wieder auf mich. Und das alles immer noch so synchron, als sitze ein Dirigent hinter meinem Rücken. Ich entscheide mich, äußerlich völlig ruhig zu bleiben. Die Losung lautet: Contenance. Dazu setze ich mein Extrem-drüber-steh-Lächeln auf. Aber der ganze Pah-nicht-meine-Kragenweite-Blick und mein Seh-ich-so-aus-als-ob-mich-das-interessiert-Gehabe: alles Show. Ich täusche eine Souveränität vor, die ich nicht im Geringsten besitze. Ich versuche es kurz, denke es vielmehr an, horche in mich rein – aber ich bringe kein Wort heraus. Gut, ich gebe zu, Argumente wären hier auch eher zweitrangig. Aber schön ist das nicht, was da gerade über mir ausgeschüttet wird. Dem Wahnsinn bist du unterlegen und ausgeliefert. Ein Verrückter ist immer stärker als du. Wer wüsste das besser als ich.
    Ich ahne natürlich, Eva Braun hat nicht den Hauch einer Chance gegen meine inszenierte Besonnenheit (und meinen Anzug), und tatsächlich wird sich das Publikum ihrer Entblödung bewusst und wendet sich bereits gelangweilt ab, als hätte jemand kurz den Fernseher an – und dann gleich wieder ausgeknipst. Ein paar Pappenheimer lachen kurz und abschließend.Ist ja auch zu komisch. Als auch der schmächtigen Nazi-Schnalle auffällt, dass sie keine Kristallnacht gegen mich anzetteln kann, kräuselt sie ihre Lippen, denkt nach, dreht sich um

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