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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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überfordere. Das kriege ich hin, mit Esther. Denn ich erkenne etwas in ihrem Gesicht, das mir sagt, dass sie wahrscheinlich alles mitmacht. Wir werden ja sehen. Und vielleicht werde ich mich dann tatsächlich sterilisieren lassen. Wie schrecklich wäre es für Fynn, mit einem leiblichen Kind konkurrieren zu müssen. Das würde ich ihm nie antun.
    Frage an einen Mann:
    »Welche Frau hat Sie als Erste enttäuscht?«
    Antwort des Mannes:
    »Meine Mutter. Als sie meinen Bruder bekam.«
    Nein, so was soll ihm erspart bleiben. Man kann sich nur auf eine Sache hundertprozentig konzentrieren. Ich nehme Esthers Hand in meine. Spiele daran herum und inspiziere sie beiläufig. Sie hat schöne Finger. Hände sind Glückssache. Wenn ich mir deren anatomische Beschaffenheit genauer ansehe, die Haut, die Knöchel, die Linien, scheint es mir, als seien wir weiter voneinander entfernt, als wir uns je nahegekommen sind. Also lasse ich es schon bald.
    Ihr Körper beginnt nach ein paar weiteren Minuten ab und zu leicht zu zucken. Meine Schulter stützt ihren Kopf, der jetzt spürbar schwerer wird. Sie ist eingeschlafen. Ich drehe mit dem freien Arm das Licht aus.
    Ich starre hinauf in die Leere der Dunkelheit, die am Tag nichts weiter ist als die Zimmerdecke. Ich denke an alles auf einmal. Immer wieder schließe ich die Augen und übe mich in Geduld. Schlaf. Vielleicht kriege ich das noch hin. Ich zählemeine Atemzüge. Komme bis sieben, lasse es sein. Ich knirsche mit den Zähnen. Was tun? Ich will müde werden, um zu schlafen. Ich will schlafen, um zu entkommen. Ich will entkommen, um zu vergessen.
    Ich hab schon zwei Temazepam forte intus. Mein Magen gluckert.
    Ich gehe, mich übergeben. Lege mich wieder hin. Ich spiele mit meiner zerbissenen Lippe. Die Nacht nimmt kein Ende.

52
    Ich sehe dem Türken beim Aufsperren des Salons zu. Mache drei Schritte, öffne die Tür. Als erster Kunde betrete ich den Herren-Friseur-Salon, an dessen großer Glasfront die Dumping-Preisliste in orangefarbenen Lettern aufgeklebt ist. Und der Zusatz: Ohne Terminvereinbarung.
    Vor meinem Fernsehauftritt benötige ich noch dringend einen Schnitt. An den Seiten, über den Ohren wächst es schon wieder ganz wild und unordentlich. Warm hier drin. Ich blase mir in die Hände und reibe sie schnell aneinander. Kalt da draußen. Mit zwei Lassowurf-Bewegungen über meinem Kopf befreie ich meinen Hals von dem dunkelbraunen Schal. Rascher Schwenk durch die Räumlichkeiten. Das Interieur beschränkt sich aufs Nötigste, die Möbel sind aus schwarz furniertem Sperrholz. Alles Low Budget. Ich hänge meinen Mantel auf.
    Alle Kollegen, die ich kenne, zahlen nicht unter zweihundert Euro für einen Schnitt bei einem ihrer Edelbarbiere. Da es aufgrund der Beschaffenheit meines Haars und meiner Kopfform egal ist, wer mich schneidet, wähle ich stets die Schnell-schnell-Niedrigpreis-Nichtmeisterbetrieb-Salons. Acht Euro schneiden, elf mit Waschen. Fertig. Wiedersehen.
    Der wahnsinnig schlecht gelaunte Türke murmelt etwas zur Begrüßung und hebt fragend das Kinn.
    »Waschen und schneiden bitte«, sage ich.
    Der mir zugeteilte, lustlose Mustapha Ibrahim weist mir den Weg zum Spülbecken. Eine nur angedeutete, gleichzeitig ruppige wie lustlose Bewegung mit dem Arm.
    Zwei weitere Angestellte, die aussehen wie Statisten aus einem Bollywood-B-Movie, sitzen schweigend neben der Kaffeemaschine und warten auf Kundschaft. Die Art, mit der sie mich ignorieren, gibt mir das Gefühl von Heimat. Leider ihrer Heimat.
    »Wasser so recht?«, fragt Mustaphas rauchige Stimme von hinten.
    Kochend heiß. »Ja, prima«, presse ich gerade so hörbar hervor. Mein zugeschnürter Kehlkopf bringt nicht mehr zustande als diesen röchelnden Satz. Der Winkel, in dem ich meinen Kopf nach hinten halten muss, um meinen Nacken in die Aussparung der Schüssel zu legen, ist viel zu steil, weil das Becken zu niedrig eingestellt ist. Ich habe beim Platznehmen aber nichts gesagt. Erstens, auf Grund der unübersehbaren Autorität, die übel gelaunte Menschen ausstrahlen. Zweitens, weil ich noch nicht wach genug bin für Bemerkungen, die nicht unbedingt sein müssen. Und drittens, weil ich bereit bin, vieles zu ertragen, wenn ich weiß, es geht zügig vorbei. Wenn ich nämlich meinen Mund halte, geht es noch schneller rum.
    Mit Handtuch auf dem Kopf und tropfend nassen Ohren gehe ich rüber zu einem anderen Sessel. Der Gang vom Waschstuhl zum Schneidestuhl ist gewohntermaßen seltsam beschämend, meine

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