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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Ansage und versehe meine Worte mit einer gewissen Wärme. Weil immer alle so laut und herablassend mit Dienstleistern reden, lege ich Wert darauf, leise, aber deutlich und zuvorkommend zu sprechen. Das ist Teil meines Selbstdarstellungsprogramms. Schon bei seiner ersten Nachfrage (»Rot-weiß oder was jetzt?«) schnauzt er mich aus seinem Aufstellhäuschen heraus an. Diffamierende Art. Er ist ein Baum von einem Mann, der ständig Anstalten macht, stimmungsmäßig restlos in den Keller zu kippen. So jemanden nennt man
Original
. Aufgrund dieser Klassifizierung ist er befugt, sich rüpelhaft zu verhalten. Man erwartet das vielmehr sogar von ihm. Er ist nicht umsonst ein Original. Ein
echtes
. Gelernt ist gelernt. Die grundlegende Wesensbeschaffenheit eines echten Originals ist eindeutig boshaft. Im Allgemeinen und im Besonderen ist ein Original eigentlich nichts anderes als ein Dorfdepp mit dominantem Charakterprofil. Trotzdem nähert man sich ihm mit einer Haltung hündischer Unterwerfung. Was ihn mit seltsamer Genugtuung erfüllt. Zu Recht. Sein geradezu zur Schau gestellter Widerwille verleiht ihm dieselbe Autorität, die uns auch bei Diktatoren oder Sektengurus gehörigen Respekt abnötigt. Je schlechter seine Laune, desto mehr vermutet man ihn in glänzender Stimmung. Einfacher gestrickte Zeitgenossen glauben von einem Original: In Wirklichkeit ist er nicht so, seine plakative Unlust ist nur eine witzige Masche. Einfacher gestrickte Zeitgenossen glauben aber auch, was in der Zeitung steht. Sobald ich auf ein Original treffe, möchte ich es bei vollem Bewusstsein mit einer Schere zerstückeln und langsam zu Tode foltern.Auf die Gesamtheit betrachtet, könnte man jedoch den Eindruck gewinnen, Originale erfreuten sich gemeinhin breiter Beliebtheit. Ein Original strebt unter größtem Einsatz danach, sich seinen Mitmenschen überlegen zu fühlen. Und der durchschnittliche Mitmensch lässt sich schnell dazu verleiten, sich ihm unterzuordnen. Scheint geradezu dankbar für die unverfängliche Gelegenheit, sich vor dem Original in den Dreck zu werfen und sich in Folgsamkeit üben zu dürfen. Für das Original und vor ihm sind alle gleich. Umgekehrt auch. Alle Originale sind identisch.
    Wie ein Idiot stehe ich da und warte. Nach gefühlten elf bis zwölf Jahren bekomme ich, was ich bestellt habe. Missmutig reicht mir das Original mit dem inszenierten Seehundbart meine Order über die hohe Theke. Currywurst mit viel Currypulver, Pommes rot-weiß, Ketchup und Mayo. Trinken möchte ich nichts. Ich stelle mich an einen Stehtisch, esse hungrig, aber ohne Hast. Meinen Geschmackssinn habe ich vor Jahren komplett verloren, von den Tabletten. Ich beobachte den Strudel von Menschen, ein junger Schnorrer, keine siebzehn, fischiger Mund, Augen glasig, Klamotten abgerissen, vermutlich obdachlos (K-Mensch), schleicht vorbei, braucht wohl ein paar Scheine für die Klebstoffkasse. Kriegt er. Ich strecke einen Zehner zwischen meinen Finger weit von mir, denke mir: »Danke, Alter« klingt in schleppendem wienerisch ziemlich charmant. Ich halte den Daumen hoch. Weg ist er. Ich kleckere fast meine Krawatte voll, Glück gehabt. Ein zeitunglesender Biertrinker am Nebentisch (J-Mensch) faltet das bunte Boulevardblättchen zusammen und lässt es in einen Plastikabfalleimer fallen, als habe es versäumt, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beantworten. Er inhaliert den letzten Zentimeter Tabak seiner Zigarette und mustert kritisch den Filter. Nichts von dem inhalierten Rauch kommt wieder raus. Alles komplett absorbiert. Nachdem er den Stummel mit zwei qualligenFingern auf den Gehsteig geschnipst hat, stopft er die Hände in die Hosentasche und verfolgt das Treiben des Verkehrs. Und hat dabei etwas Vogelscheuchenhaftes. Der Sturm lässt noch auf sich warten. Ist aber in den Startlöchern, der Himmel mutet böse an. Noch drei Bissen vom Ende meiner weichen Mahlzeit entfernt, beginnen sich das Original und der Biertrinker lauthals über einen Fünfzigjährigen zu unterhalten, der vergangene Woche bei einer U-Bahnpöbelei unter Jugendlichen helfend eingegriffen hat und dabei totgeprügelt wurde. Hab ich auch mitbekommen. Seine löbliche Zivilcourage macht gerade Schlagzeilen, und er wird zum selbstlosen Helden hochstilisiert, Vorbild für alle. Beinahe Heiligsprechung. Aus seiner Bude heraus sagt das Original zum Biertrinker, der beim Absetzen der kalten, beschlagenen Flasche ein klein wenig verschüttet und sein Handgelenk ableckt, dass jetzt sogar

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