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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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fühle mich für diese Anwandlung von Schwäche einer begründeten Bestrafung empfohlen. Pater Cornelius hat immer gesagt: »Deine Verletzbarkeit ist eine deiner zahlreichen unverzeihlichen Eigenschaften.« Das hat mir schon damalsweh getan. Das, was er gesagt, und das, was er daraufhin mit mir gemacht hat. Aber vielleicht stimmt, was er sagte.
    Der Flug ist wetterbedingt sehr unruhig. Es ruckelt ständig irgendwo. Ich entspanne mein Gesicht und stelle fest, dass ich nie so cool aussehe, wie wenn ich eine Rolle zu spielen habe.
    Ich denke an das Meeting. Nur ich allein, wie ich, ganz auf mich gestellt, diese Nullgesichter überzeugt habe. Mann, war ich gut. Solche Momente holen immer das Beste aus mir raus oder das Schlechteste, kommt auf die Perspektive an. Das Ding geht klar, eingesackt, der Job ist uns sicher, da bin ich mir sicher. Ich bin irgendwie zufrieden, obwohl das nichts bedeutet.
    Ich schaue neben mich. Ben schläft. Und schwitzt tierisch. Eine Art Fieberfrost schüttelt ihn. Die Post-Koks-und-Prä-Grippehöhepunkt-Erschöpfung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Wir teilen uns eine Armlehne. Ein dünner Faden Speichel läuft über seine Unterlippe. Ach du Scheiße.
    Ich muss dringend aufs Klo. Die Currywurst macht mir zu schaffen. Ich vertrage das nicht so. Zusammen mit dem scharfen frisch gepressten Kiwi-Ananas-Orangensaft von der Fresh-Juice-Station im Flughafen-Wartebereich: eine verheerende Mischung.
    Das Klo in der Maschine ist total verschissen, als ich reinkomme. Mein Würgereflex meldet sich. Nachdem ich selbst ziemlich flüssig gekackt habe, putze ich auch noch den ganzen Kot meines Vormanns penibel weg, weil ich weiß, vor der Tür wartet der Nächste, und ich will nicht, dass er denkt, ich sei für die Sauerei verantwortlich. So bin ich.
    Zurück an meinem Platz starre ich durch das Fenster auf die unter uns vorbeiziehenden Wolken und wünschte, sie würden sich schneller bewegen. Ich habe zwei Techniken, meine Flugangst zu besänftigen. Die erste besteht darin, mir die Unwahrscheinlichkeit eines Absturzes zu mathematisieren. Ich weiß,man müsste vier Millionen Stunden fliegen, das sind 475 Jahre, von morgens bis abends, um in einem Flieger tödlich zu verunglücken. Aber das mit Statistiken ist so eine Sache. Der Zufall kennt keine Statistiken. Die zweite Methode, meine Panik im Zaum zu halten, ist das Prominenten-Denkmodell. Auch heute ist irgend so ein bekannter Schauspieler an Bord. Nicht mehr ganz jung, ARD, ZDF, RTL, man kennt sein Gesicht, nicht unbedingt seinen Namen, Heinz, Harald, Horst, auf jeden Fall B-Prominenz, zumindest deutsche B-Prominenz. C-Mensch. Macht aktuell gerade auch Mineralwasserwerbung. Und ich sage mir – so lächerlich der Gedanke auch ist –, dass schließlich auch der Typ draufgehen würde, wenn diese Maschine abstürzt. Und das stünde dann morgen auf den Titelseiten der Zeitungen. Und das wäre
wirklich
unwahrscheinlich. Das sind meine Beruhigungstaktiken. Logik ist nicht immer der Schlüssel.
    Die verbleibenden Minuten bis zur Landung öffne ich meine Aktentasche und nehme mir »Selbstbetrachtungen« von Marc Aurel vor. Es ist nicht so gut, wie ich erwartet hatte. Oft naiv. Ein paar Mal muss ich heftig lachen, innerlich. Beim Lesen lache ich nie laut. Das kann ich einfach nicht.
    In der Ankunftshalle des Flughafens drücke ich Ben mit seinen tiefschwarzen Augenringen zwei Ordner in die schlenkernden Arme.
    »Hier, nimm du die Unterlagen. Wir fangen gleich morgen mit der Sondierung an.«
    Ich merke, wie sich die Anspannung meiner Nackenmuskulatur zum ersten Mal an diesem Tag löst. Trotz meiner massiven Flugangst weiß ich es überhaupt nicht zu schätzen, wenn ich gesund lande. Sobald ich wieder festen Boden unter den Füßen spüre, ist alle Dankbarkeit wie weggefegt. Bin gleich wieder frech wie Oskar.
    »Bis morgen.«
    »Ja, bis morgen«, antwortet Ben schwach. Seine Stimme klingt matt, er selbst glänzt. Matt glänzend. Mal sehen, ob er diese Nacht überlebt.
    Wir steigen in getrennte Taxis. Auf dem Rücksitz des Wagens schaffe ich fünf weitere Seiten des Buchs. Ich bin ein mittelschneller Leser. Dann wird es mir zu viel. Marc Aurel war auch nur ein weiterer Klugscheißer, dem kein individuelles grausames Schicksal die Lust auf Allgemeingültigkeits-Postulierungen geraubt hat. Das Buch deponiere ich im Netz an der Sitzrückseite vor mir, werde es hier zurücklassen. Ich schaue raus. Lauter Baustellen auf der Autobahn. Eine nach der anderen. Und alle

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