Paranoia
aller Spitzenmanager: top ausgebildet, aber nicht klug.
Ich nippe an meinem Wasser. Der rechte Heini mit dem Rattenlächeln lässt nicht locker und will mich in die Enge treiben. Nur in deinen Träumen. Ich finde seine Frechheit schon fast beeindruckend. Nach seinen paar schalen Einwürfen beginne ich, vom Jagdfieber gepackt, zu reden. Glaube mir selbst. Fahre schwerere Geschütze auf, doziere, habe die Weisheit mit Löffeln gefressen, bin ein Tausendsassa, denke an meine Prämie. Dass ich nur eingeschränkte Erfahrung mit dem Arbeitsbereich Personenluftfahrt habe, wen juckt’s. Darum geht’s nicht. Das ist wie in der Politik. Kein Finanzminister hatte vor seiner Ernennung mit Finanzen zu tun. Es geht umSchauspiel, so tun, als verstünde man was vom Geschäft des Kunden. Spot auf mich, bitte. Soloperformance volle zwanzig Minuten. Endspurt. Ich lege eine klasse Aufführung hin. Adrenalin pumpt durch meinen Körper, als ich mich in meinen Vortrag mehr und mehr hineinsteigere. Dennoch setze ich meine Worte vorsichtig und bedacht, wie ein Schachspieler seine Züge. Und doch weiß ich, es wird für mich selbst nie genug sein. Denn egal, wie gut ich bin, es reicht nicht, ich muss mir jede Sekunde aufs Neue beweisen, dass ich kein Nichts bin.
»… und wir werden bis Mitte nächster Woche anhand der neuen Daten eine noch spezifischere Voranalyse für Sie erstellen«, sage ich, zwinkere, lehne mich zurück und versuche, souverän und zuvorkommend gleichzeitig auszusehen. Bis zu diesem Augenblick ist mein Timing tadellos. »Dann fertigen wir Ihnen ein Konzept nach Maß. Unsere Prozessanalysen würden wir Ihnen dann im ersten Update vorstellen. Gerne bereits übernächste Woche, wenn Sie das …« Um des Effekts willen breche ich ab und setze ein plötzliches Bühnenlächeln auf, wie ein Zauberer, der gerade einen Hasen aus dem Zylinder zieht.
Ich kann es nicht beschwören, aber ich glaube, in dem Moment macht es in meinem Kopf kurz klack. Ein Sekundenbruchteil. Oder etwas länger. Geräusche, das Licht, Bewegungen, alles durcheinander. Als ob die Fassade bröckelte. Einfach kurz klack. Die Grenzen der Wahrnehmung verwischen. Ich bekomme noch mit, wie ich mir denke »Sind die noch ganz dicht?«, oder so ähnlich. Die Gegenwart verschwindet in silhouettenhafter Vernebelung, von einem merkwürdigen Impuls getrieben, dem ich nur selten nachgebe. Vorbei. Im Nu.
Ich bin fertig mit meiner Rede. Klassischer Showdown. Ende. Mein geschlossener Mund bildet eine waagrechte Gerade.Funkstille seitens der Herren. Sie sehen mich an. Ich starre unbewegt zurück. Ich scheine sie ganz in den Bann gezogen zu haben. Sie stehen alle gleichzeitig auf. Ohne Vorwarnung. Sie spielen Gruppenbild mit sieben Krawatten vor einer großen Glasfront. Der Himmel dahinter ist eine giftige Bleiplatte. In ihren Gesichtern spiegeln sich die verschiedensten Emotionen. Nein, eigentlich nur eine. Aber ich kann mich nicht entscheiden, ob ihre Mienen Zeichen von Entrüstung oder Verwirrung tragen. Merkwürdig. Über ihre zusammengepressten Lippen – schmale, blutleere Striche – kommt kein Wort. Schweigen, das sich wie eine große Kälte im Raum ausbreitet. Sicher nur ein Reflex. Auf meine Rhetorik. Einer zögert, so als wolle er mir noch etwas sagen, überlegt es sich dann aber doch anders. Weiter im Text.
Mir wird die Tür aufgehalten, der Vortritt gelassen. Ich bin raus. Den Gang entlang, die Blondine geleitet mich. Was war das jetzt zum Schluss? Die flüssige Beendigung eines Gesprächs, das habe ich doch eigentlich drauf. Ich bin jemand, der gelernt hat, mit dem Strom zu schwimmen. Ein kalkulierender Mensch. Bei mir ist jeder Satz und jede Handlung Kalkül. Was war das also gerade Merkwürdiges? Antwortsuche. Tunnelblick. Ein Gefühl der Vergeblichkeit. Wir laufen schweigend zum Aufzug. Ich bin etwas taumelig. Sogar meine Schritte klingen falsch. Ein Hauch eisiger Angst schleicht sich in mein Blut. Ich möchte am Daumen lutschen. Was war das gerade eben? Ich bin mir nicht sicher.
07
Taxi. Es rast los. Gewinnt Land. Ich sage stopp. Wir halten an einer Imbissbude, neben einer befahrenen Straße. Ich bitte zu warten und steige aus. Auf einem ovalen Sperrholzschild, daswie der Querschnitt eines Baumstamms aussehen soll, steht einer dieser lächerlichen Genitiv-Apostroph-Namen: Peppi’s Jause. Meinetwegen.
Eine Latzhose mit Plastikkäppi und gezwirbeltem Oberlippenbart nimmt muffig meine Bestellung auf. Typ: typisch-uriger-Typ. Ich mache eine konkrete
Weitere Kostenlose Bücher