Paranoia
verlassen. Niemand da, kein einziger Bauarbeiter. Ich glaube, ich habe noch niemals jemanden auf Autobahnbaustellen arbeiten sehen.
Ich nehme mir ein paar geschäftliche Unterlagen aus der Tasche und vertiefe mich darin. Sehe erst wieder auf, als wir schon in der City sind. Es ist mir gar nicht aufgefallen: bereits zappenduster, noch nicht mal fünf. Die Schatten haben die Herrschaft übernommen, der Abend beendet den Nachmittag. Die Straßenlaternen verschmelzen miteinander. Ich raune: »Hier können Sie anhalten.« Noch eine Quittung. »Ja, Datum von heute, bitte.« Es ist ein Donnerstag. Hat gar nichts zu sagen. Nacht wird es immer.
08
Der Lärm des erwachenden Morgens dringt durch das gekippte Fenster meiner Wohnung im ersten Stock. Es ist eiskalt. Trambahn, Autos, Fußgänger, Straßenlärm. Alles kommt in Gang. An Montagen ist das Treiben lauter als an anderen Werktagen. Diese Feststellung quält mich zusätzlich zu meiner eigenartigen Mischung aus Angst und Erregung. FrostigeLuft zieht mir auf meine Arschbacken, als ich Ilses graue, kurze Haare am Hinterkopf packe und ihren Schädel gegen zwei Gitter des Kopfteils meines Betts drücke und immer wieder dagegen schlage. Sie hält ihren Mund, macht keinen Mucks. Ist auch besser so. Mit der anderen Hand drehe ich ihr den Arm auf den Rücken und erzeuge Druck. Kurz vor einer Zerrung. Für das richtige Maß an Gewalt braucht man das richtige Maß an Gefühl. Die Stirn meiner Haushälterin kracht in regelmäßigen Schüben an die Metallstreben, mit jedem meiner brutalen Stöße in ihre ausgeleierte Öffnung. Immer und immer wieder. Ihre alte faltige Haut klatscht laut bei jedem Schwung, mit dem meine Eier gegen die Hinterseite ihrer hängenden Oberschenkellappen knallen. Ich tue es ohne sonderliches Vergnügen. Aber mit nachdrücklicher Kraft. Ich stöhne kurz auf und lasse sie seitlich an mir niedersinken. Sie fällt auf die linke Hälfte der Matratze. Ihre Geruchsnote, die nach diesem dumpfen, matten, indifferenten Hormonmix des Verwelkens riecht, widert mich an. Sie flüstert, kaum vernehmlich, zwei Silben. Ein erstickter Laut. Mit einem abwesenden Gesichtsausdruck fängt sie an, an einem Knöchel ihrer geballten Faust zu saugen. Ich stehe schnell auf. Beklommenheit.
Eine Wolke kummervoller Schreie schwebt hinter mir empor. Nichts als Entsetzen und Übelkeit strömt aus jeder einzelnen Pore meines elenden Körpers. Kummervolle Schreie in meinem Rücken, der lange Arm der Vergangenheit. Schreie. Bestenfalls ein verzerrter Widerhall der Wahrheit, wie ich sie kenne. Vergeltung. Laute Schreie. Nichts, aber auch gar nichts Neues. Der faulige Atem meines Unterbewussten. Hass und Wut, weil ich unfähig bin, anders zu handeln, als ich handle. Ich kann nichts weiter tun, als es hinnehmen. Erbärmliche Versuche der Bewältigung. Der Grund weshalb, der Grund, aus dem.
Alles ist in der Vergangenheit ursächlich.
Das weiß ich selbst. Geschenkt.
GESCHENKT.
Mein Blick ist zuerst verschwommen und ziellos. Dann klärt er sich allmählich. Aus meinen Augenwinkeln nehme ich wahr, dass mich die Alte auch nicht ansieht – kauert sich zusammen, irgendwie. Ich kenne sie zu gut, als dass es mir besonders wichtig wäre, was in ihr vorgeht. Sie könnte leicht für fünfundsechzig durchgehen, wenn man die Rückenflächen ihrer Hände übersieht. Ich sage nichts, die stumme Tour.
Wenn eine Frau alt wird, gibt es nur zwei Möglichkeiten, zu was sie mutiert: Ziege oder Kuh. Ilse ist dennoch irgendwas dazwischen. Nicht hager, nicht fett. Altersunförmig, hager hier, fett da. Mir fällt kein Mittelding zwischen Ziege und Kuh ein.
Ich greife nach meiner Unterhose, verlasse das Zimmer. Ich laufe mit ohne Socken rum. Mein Fußboden ist die Zimmerdecke eines szenigen Tagescafés. Diese Wohnung hier miete ich, obwohl ich zwei Eigentumswohnungen besitze. Die lasse ich jedoch leer stehen, lüfte sie lediglich regelmäßig. Da lass ich niemanden rein, denn Mieter machen nur Ärger, stellen ungerechtfertigte Forderungen, wohnen dir die Immobilie runter, ziehen nicht aus, wenn sie sollen, und haben alle Rechte auf ihrer Seite. Rechnet man die Renovierungskosten und die Verwaltungssorgen mal gegen, lohnen sich Mietverhältnisse für den Vermieter einfach nicht. Ich betrachte meine beiden Immobilien lediglich als Geldanlage.
Ich lebe nicht selbst in einer meiner eigenen, weil mir eine gemietete Wohnung etwas Übergangshaftes vermittelt, was meinem unabänderlichen Gefühl, auf der Durchreise zu
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