Paranoia
sein, entgegenkommt. Dem Gefühl, das ich auch im Heim immer hatte. Und getreu meines tief eingepflanzten Credos
Alles, was ich habe, trage ich bei mir,
ziehe ich häufig um. Siebenmal in den letzten zehn Jahren. Eine Wohnung suche ich danach aus,dass man sich unmöglich auf Dauer heimisch oder sesshaft in ihr fühlen kann. Kriterien wie versperrte Aussicht oder laute Lage stellen für mich Positiva dar. Keine Sonne ab 11 Uhr vormittags, Lokal direkt unter der Wohnung, schlechter Schnitt der Räume – das passt mir gerade gut! Die nehm ich! Eine Wohnung muss Hotelcharakter besitzen. Denn in Hotels schlafe ich am besten.
Ich schweife ab. Zurück.
In der Küche drücke ich ein Insidon aus der Packung. Ich spüle es mit Red Bull runter. Auf ex.
Morgens hat meine Küche Sonne. Wenn denn die Sonne scheint. Also heute nicht. Ich lecke mir das Prickeln der Kohlensäure von den Lippen. Dann lasse ich Leitungswasser ins Glas laufen, nehme noch eine Tablette und noch zwei Schluck. Dadurch werden meine Depressionen freilich nur zeitweise überblendet. Beseitigen kann man die Ursachen nicht.
Ich kratze mich mit dem Fingernagel an der Lippe. Nur Juckreiz, kein Herpes. Kriege ich nicht, hatte ich nie. Liegt wohl an den Genen. Rezessiv, dominant, Mendelsche Gesetze, desgleichen. Wären Menschen genetisch nicht ein wenig unterschiedlich in ihrer Resistenz, wären schließlich damals alle an der Pest gestorben.
Nasenbluten hatte ich auch noch nie. Kopfweh kenne ich nicht.
Ich drücke auf die Kaffeemaschine, ein Röcheln ertönt, dann ein Blubbern. Kaputt, defekt. 1750 Euro, kein halbes Jahr alt. Ein straffer Preisdurchschnitt, auf die ausgegebenen Tassen Espresso umgerechnet.
Ich haue nicht drauf. Ich haue einfach nicht drauf, auf die Kiste. »Reparatur Kaffeemaschine« schreibe ich mit blauem Kuli in Ilses Erledigungsliste auf dem Küchenhochtisch. Unter Hühnerfrikassee. Ilse verdient bei mir fünf Mal so viel, gemessen an ihrem regulären Stundenlohn. Alles inklusive.
Die Pillen setzen ein. Es wird etwas heller in mir drin. Ich sage mir, es wird schon alles werden. Doch daran glaube ich immer nur eine Minute lang.
Der graue Himmel scheint so tief zu hängen, dass er fast den Boden streift. Zwischen zwei Fingern spiele ich an der Tablettenverpackung herum und lasse die Folie knistern. Ich denke, jeder ist auf seine Weise eine Suchtpersönlichkeit. Der Maßvolle genauso wie der Maßlose. Darum nehme ich der Ausgewogenheit halber noch eine halbe Tavor, lege sie mir auf die Zunge und schlucke sie mit in den Nacken geworfenem Kopf runter, die Augen gegen die Decke gerichtet, um noch ein bisschen mehr Farbe und Verdrängen in meine Seele zu hauchen. Verträgt sich wechselwirkungsmäßig relativ nebenwirkungsfrei mit meinen anderen Psychopharmaka. Abgesehen von dem leichten Pilzbefall auf meiner hinteren Zunge. Der Tag kann beginnen. Lebenstauglichkeit ist nur eine Frage der richtigen Medikamentation.
Und die hat bei mir eine gewisse Historie. Im Klartext: Nachdem ich damals aus dem Heim entlassen worden war, traten bei mir typische Entzugserscheinungen auf. Was darauf hindeutete, dass wir damals im Kloster mit Medikamenten ruhig gestellt worden sein mussten. Und je genauer ich bestimmte Geschehnisse rückblickend unter diesem Aspekt betrachte, desto plausibler wird meine Mutmaßung. Keine kühne Behauptung. Es gibt viele eindeutige Hinweise, die meinen Anfangsverdacht erhärten. Lange Geschichte. Nur die Offensichtlichkeit schockiert mich manchmal. Würde sich herausstellen, dass an uns klammheimlich auch pharmazeutische Experimente durchgeführt worden sind oder dass wir Teil verschiedener Test-Versuchsanordnungen waren, es würde mich kein bisschen überraschen.
Ich stelle das Glas in die Spüle und postiere mich ritualgemäß für einige Minuten vor das riesige Aquarium, welchesKüche und Wohnzimmer teilt. Ziemlich beruhigend, ziemlich stylisch. Man kann durch die grünliche Wasserwand ins Wohnzimmer schauen. Habe ich vom Vormieter übernommen. Das Becken misst unglaubliche vier Mal zwei Komma fünf Mal null Komma fünf Meter. 4 x 2,5 x 0,5 m . Länge-Höhe-Tiefe. Das Wasser wird von vier Strahlern kunstvoll indirekt beleuchtet. Reichlicher Pflanzenwuchs, exotisch anmutende Gewächse, am Boden und freischwimmend. Ungefähr dreißig Fische scharwenzeln mal mehr, mal weniger aktiv darin herum. Eine vollständig eigene Welt in den eigenen vier Wänden. Ich weiß nicht, wie man so was in einer Wohnung installieren kann. Noch
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