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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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dazu als Trennwand zweier Räume. Wie exzentrisch muss man sein? Ich weiß auch nicht, was das überhaupt für fluoreszierende Fische da drin sind und wie sie heißen, aber die Farbenpracht und Artenvielfalt der zum Teil riesigen Dinger ist immer wieder beeindruckend. Diese unverrückbare Makellosigkeit der Natur – dieser teilinszenierten Natur – finde ich geradezu Ehrfurcht gebietend. Ich stehe einen halben Meter vor der Scheibe und bin doch auf unüberwindbare Weise fern.
    Ich habe kaum Ahnung, welches Futter wann verabreicht werden muss. Und wann das Wasser wie aufbereitet werden soll. Macht alles Ilse. Als mir der Vormieter bei der Wohnungsübergabe übertrieben förmlich das ganze Aquarium detailgenau erklärte, nickte ich nur, wie ich auch immer nicke, wenn man mir Erste-Weltkrieg-Anekdoten erzählt. Aber mittlerweile habe ich mich an diesen Kasten so gewöhnt, dass ich froh über ihn bin. Jeden Tag ein paar Minuten reinschauen – wirkt Wunder.
    Ich starre auf einen basaltblauen Berserker von Tellerfisch, der gerade einen deutlich kleineren, sepiafarbenen bedrängt. Und kurz darauf attackiert. Es kommt zu einer Verfolgungsjagd. Zickzackbewegungen durchs wohltemperierte Nass. Vorbeian ein paar Schlupflöchern. Kurz bleiben beide zwischen einem moosbewachsenen Miniaturfelsen und einer unwirklich grünen Efeupflanze stehen. Undurchdringliche Augen. Diese Pose kenne ich gut. Der Große macht nur Spaß. Obwohl. Das Opfer schwimmt weiter, scheinbar nach Luft schnappend und unkoordiniert wie ein Voll-Alki. Und jetzt schießt ein tuntiger, kreischbunt rot-gelb-grün gestreifter Blender mit Schmolllippen aus einem grün bewachsenen Bonsai-Korallenriff und bringt Bewegung in die Sache. Die Zeichnungen um seine Augen vermitteln den Eindruck, er trüge eine Brille. Mit hoher Geschwindigkeit durchmisst er pfeilgerade die rechte Hälfte des Tanks und macht am Ende einen eleganten U-Turn. Er ist der Einzige, dem ich einen Namen gegeben habe. Doch darauf möchte ich nicht näher eingehen. Immer wenn ich Elton John anschaue, scheint mir sein Blick mitzuteilen: »Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten!« An seinem Rockzipfel hängen vorwitzig fünf schwänzelnde, schwarzblaue Zwergfischlein. Dreiste Schleimer mit Du-bist-und-bleibst-der-Beste-Haltung. Obszöne Nasen, Wimperngeklimper, Rudelmentalität. Niemals getrennt und doch ganz allein. Ich sehe irgendwie verzückt wieder zu dem basaltblauen Riesen, der immer noch den Sepiafarbenen piesackt, als wolle er ihm eine Lektion erteilen. Eine Abreibung. Und plötzlich dreht der große Meister ab, als würde er sagen: »Sorry! Mein Fehler.«
    Zehn Minuten später bin ich abmarschbereit, verschwinde ins Büro.
    Ilse weiß, was sie heute zu tun hat. Die Liste liegt da, wo sie immer liegt. Hoffentlich begreift das geriatrische Miststück, dass sie die drei Anzüge in der Garderobe auch noch in die Reinigung bringen muss, wenn sie mit Putzen fertig ist. Steht nicht drauf auf dem Wisch, hab ich vergessen zu notieren. Hoffentlich begreift sie’s.
    Sonst gibt’s Ärger.

09
    Auf dem Weg halte ich an und springe in den kleinen Kiosk und Zeitschriftenladen, nur zwei Blocks vom Büro entfernt. Eine Schlange von Leuten wartet an der Kasse. Es ist wohlig warm und riecht nach weichem Tabak, von dem ich mich schon immer frage, wer den wohl kauft. Mit geübter Hand nehme ich mir die GQ, New York Times (US-Import), Men’s Health, FHM und Esquire (UK-Import) aus dem Regal. Stelle mich an, reihe mich ein.
    Ein Klaps auf meine linke Schulter, ich sehe mich um, zeitgleich flüstert eine Stimme in mein rechtes Ohr.
    »Na, Wichspisse?« Ben, ebenfalls mehrere Zeitschriften in der Hand. Dürften die gleichen sein wie meine. Wir scheinen wirklich in einer Zeit zu leben, in der das Unnötige unser Hauptbedürfnis ist.
    Ihm geht es gesundheitlich eindeutig schon wieder besser, auch wenn seine Nase noch verstopft ist, wie ich feststelle. Was vier Tage ausmachen!
    »Hey, Kackeballen«, sage ich und schaue weiter stoisch geradeaus.
    Ich frage: »Und?«
    Er antwortet: »Yes!«
    Ich frage: »Und?«
    Er antwortet: »Zweimal à dreimal.«
    Ich frage: »Und?«
    Er sagt: »Bingo.«
    Immer noch hintereinanderstehend machen wir ein paar kleine Schritte, rücken auf, tippelnder Entenmarsch, nähern uns langsam der Kasse.
    Aus diesem schlicht anmutenden Frage-Antwort-Spiel resultieren nun also folgende Informationen: Die Pornodarstellerin von der Drogerie-Kasse, von der er mir vergangene Wocheerzählt

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