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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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ermittelt der Kassenmann nach einigem Eintippen den Preis. Unsere Köpfe sind durch keinen halben Meter leeren Raum voneinander getrennt. Luftlinie. Ich weiß, dass er atmet, das kann ich riechen. Uuh! Darauf kann man sich verlassen. Ist jeden Tag so. Bei dem Herrn Kioskbesitzer gehört Mundgeruch zum Charakterbild.
    So, was war das? 39,30? Neununddreißig dreißig für diese paar Zeitschriften? Ich halte ihm einen Hunderter unter die Nase, der einen Herstellungs- und Papierwert von drei Cent hat. Aber wenn man sich darauf einigt, dass dieser bedruckte Schein hundert Euro wert ist, dann sei es so. Alles nur Schein.
    Während ich darauf warte, dass auch Ben abkassiert wird, sehe ich, wie es sich draußen zunehmend bewölkt. Alles wirkt wie von unsichtbarem Frost überzogen.
    Meine Nase läuft. Schnupfen im Anmarsch. Bestimmt dervon Ben. Diesen Tag werde ich meine Nase nicht ein einziges Mal mehr hochziehen. Nicht ein einziges Mal putzen. Zum Verrücktwerden. Das.
    Wir treten in die Kälte, stellen simultan unsere Mantelkragen hoch, Ben hört gar nicht mehr auf, mir die Daten seiner Kostenrecherche für die Kalkulation zu unterbreiten, und ich möchte gerade so was sagen wie, also bis gleich. Da hören wir, wie ein Mann mit zerfurchtem Gesicht und rasselndem Atem, vornübergebeugt und auf die Stoßstange eines VW aufgestützt, uns zuruft: »Hallo, Sie, könnten Sie mir helfen, meinen Rollstuhl aus dem Kofferraum zu heben?«
    Der eisige Wind mindert die Verständlichkeit und verzögert daher unsere Reaktionszeit. Ben und ich sehen uns kurz an, lediglich eine Millisekunde. Dann atmen wir tief und lang ein, um unser Timing abzugleichen, und rufen simultan, mit tiefen, monotonen Stimmen: »Tun Sie, was Sie getan hätten, wenn wir nicht vorbeigekommen wären!«
    Verschmitzt verziehen wir unsere Münder, treten mit erhobenen Händen den Rückzug an und laufen fluchtartig los, zu unseren Wagen. Wie Lausbuben, auf deren Hintern man mit Schrotflinten zielt. Die Säume unserer Kaschmir-Brioni-Mäntel wehen hinter uns her. Bevor jeder zu seinem Auto abbiegt, geben wir uns behandschuhte High Five. Abklatschen. Yo, brother! Eine Kreuzung aus Max & Moritz und irgendwelchen Hip-Hop-Idioten. Allerdings mit ironischer Brechung. Eine Persiflage sozusagen.
    Dann bricht ein Gewitter aus lautem Lachen über uns herein, und unsere Körper biegen sich fast schmerzverzerrt vor hysterischem Prusten. Ich lasse doch beinah einen fahren. Gestern indisch gegessen. Vertrag ich nicht. Wie ein Schluckauf durchzucken mich Lachsalven, die noch stärker werden, wenn ich zu Ben schaue. Er wedelt mit der Hand, schluchzt etwas, Lachkrampf. Wir öffnen jeweils unsere Autotüren, werfen dieZeitschriften auf die Beifahrersitze und steigen, einander zuwinkend und immer noch lachend, ein.
    (Stimmungsschwankungen? Ich?)
    Dies war ein Auszug aus unserem Insider-Scherze-Paradeprogramm:
Die schlagfertigsten Antworten, die einem nicht erst im Nachhinein einfallen.
Auch Behinderte haben ein Recht auf Direktheit. Nicht nur Nigger und Schwuchteln. Muslime nicht zu vergessen.
    Ben überholt mich auf dem kurzen Weg zum Wolkenkratzer. Dann wieder ich ihn. Er mich, ich ihn. Ich weiß natürlich, es verbietet sich, ein schnelles Auto schnell zu fahren. Wirkt armselig. Aber was soll’s.
    Der klamme Frühnebel verwischt die Straßenkonturen. Wir schießen durch fetzenweise auftretende Bodenwolken und erreichen unsere Parkpositionen im dritten Tiefgeschoss jeweils mit Vollbremsungen und stoßweisen Hup-Tönen. Hier trägt jeder Stellplatz einen Namen, gestanzt auf blecherne Schilder in Kfz-Zeichen-Typographie. Irgendein Schlauberger hat neben meins, mit rotem Edding, einen Revolver gemalt. Ziemlich lieblose Zeichnung. Sieht weniger nach einer Waffe aus als vielmehr nach einem Penis. Aber nicht dem meinen. Meiner ist nicht so groß, nur Durchschnitt. Und nicht so bananenförmig. Muss ich entfernen lassen. Die Zeichnung, nicht meinen Penis.
    Mein Nachname hat übrigens überhaupt nichts mit dem Laut des Schussgeräusches zu tun. »Peng und du bist tot!« Den Spruch kann ich wirklich nicht mehr hören.
    Ben hat F14. F3 ist meiner. Wenn dir ein Parkplatz unter den ersten fünf der F-Reihe zugeteilt wird, so heißt es firmenintern, hast du es geschafft. Fehlt mir auch die Befriedigung, die Freude, die ich von mir selbst erwarten dürfte, so kann ich mich doch immerhin daran
erinnern,
dass diese Position mal mein Zwischenziel war. In der Firmenhierarchie stehe ich

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