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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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hätte, nein, eine ältere Frau einzustellen birgt außerdem noch einen Vorteil. Es besteht keine Gefahr, dass sie einem zwanzig Minuten nach Unterzeichnung des Arbeitsvertrags mitteilt, sie sei schwanger und nehme per sofort den ihr zustehenden Mutterschaftsurlaub. Den Fall hatte ich schon mal. Ätzend. Junge Frauen sind so! Das wird einem jeder bestätigen. Ich schweife ab.
    Therese ist großartig. Ich würde sie so gerne mal vermöbeln.
    Ben und ich gehen in mein Büro. Uns bleibt nicht mehr allzu viel Zeit, unsere Daten abzustimmen. In vierzig Minuten ist mein Termin mit Lutz, und um ihm gleich einen exquisit vorbereiteten Bericht über unsere Fortschritte mit A. L. I. erstatten zu können, brauche ich noch weitere Informationen. Wir sind hier noch nicht durch. Zumal ich in meine eigenen Unterlagen auch noch mal kurz reinschauen muss. Darum lass uns an die Arbeit gehen.
    Meine Nase läuft, ich bleibe standhaft und lasse es zu. Lasse es zu. Lasse es mich wahnsinnig machen.
    Ben fährt seinen Laptop hoch und brieft mich weiter. Hat alles im Kopf. Beeindruckende Gedächtnisleistung. Wir tauschen uns aus, gleichen ab, streuen Kraftausdrücke ein, indirekte Gesten der Kameradschaft und Ventilfunktion. Uns verbindet diese in tausend gemeinsamen Arbeitsstunden entwickelte Adrenalin-Kumpanei, die wir blitzschnell anzuknipsen im Stande sind.
    Ich habe das Jackett über meinen ergonomischen Sessel gehängt und lehne mich deshalb nur ungern zurück.
    Verflixt und zugenäht, ich möchte meine Nase putzen oder wenigstens mal schniefen. Aber nein, nix gibt’s.
    Unsere beiden Computer sind hochgefahren, die Startmelodien tun davon fast gleichzeitig kund. Als Ben sagt, er organisiere noch schnell Kaffee für uns, sage ich: »Lass doch Frau Schmitz …« Er meint, er muss sowieso noch was aus seinem Büro holen, dann lalle ich: »Für mich, schwarz wie die Nacht.« Er singt zurück: »Schwarz wie die Nacht und schwarz wie immer.« Kinderlied-Melodie. »Komme gleich, alte Sperma-Nille. Wie war das? Milch und Zucker für dich, oder?«
    Ich lache laut, kurz und deutlich, weg ist er, drehe seinen Laptop in meine Richtung, durchforste in Windeseile den Ordner, der den Namen der betreffenden Airline trägt, klicke die Datei an, die er mir zu zeigen angekündigt hat, »Air_L_Creation_Data_Konzept_23/10/2011«, also von gestern, und die das Ergebnis seiner Wochenend-Arbeit darstellt. 29 Seiten Text, Tabellen, Statistikkurven, Net-Links und Infokästchen. Optisch top aufbereitet, perfekt gegliedert. Nicht weniger als 18 Stunden netto, da wette ich. Guter Mann.
    Für meinen Teil der Vorbereitung habe ich dieses Wochenende ungefähr ebenso lange gearbeitet. Unser Konzept ist zwingend, den Job tüten wir ein.
    Ich stecke meinen USB-Stick in Bens Apple, kopiere mir die Datei drauf, dann lösche ich die Datei auf seinem Computerund ziehe meinen Stick wieder raus. Seine Tastatur klebt ein wenig. Ich gehe auf seinen »Papierkorb«, klicke genau diese Datei dort erneut an und fahre dann mit der Maus auf »Endgültig löschen?«.
    »Ja.«
    Beinahe hätte ich meine Nase hochgezogen. Nix da. Mir tränen die Augen. Ich drehe Bens Laptop wieder in seine Richtung, lehne mich zurück, freue mich schon auf den Kaffee. Hab ich mir verdient.
    Ich kann Ben gut leiden. Auch wenn ich sein Vorgesetzter bin – in einem modernen Unternehmen wie diesem gibt es keine feudalen Strukturen. Man ist wie eine große Familie. Anders ginge das heute gar nicht mehr. Nach oben buckeln, nach unten treten? Reaktionäres Verhalten und rein hierarchisch ausgerichteter Führungsstil wären kontraproduktiv und ineffizient, stünden für Regression und Demotivation individueller Arbeitsleistung. Jeder braucht jeden. Und doch gibt es klare Regeln, an die man sich zu halten hat.
    Ich höre ihn kommen. Tassen- und Untertassenklappern.
    Ob er eine Sicherheitskopie seiner Festplatte angefertigt hat? Zu wünschen wäre es ihm.
    Ich lasse den USB-Stick mit der kopierten Datei in meine Schreibtischschublade gleiten, schließe sie bedachtsam.
    Das hier hat nichts zu bedeuten. Ist nichts weiter als ein reizlinderndes Bedürfnis. Die endlose Variation ein und desselben Themas.
    Ich wispere ein aufrichtiges »Danke dir«, als er mir die Tasse mit einem Lächeln hinstellt. Ben und ich sind Freunde. Und ich möchte, dass das auch so bleibt.

10
    Mehr als dreißig, weniger als vierzig Minuten später. Im Flur. Einmal scharf links, einmal rechts, geradeaus, rechts, dann länger geradeaus. Ich

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