Paranoia
mittlerweiledirekt unter Robert Lutz und Henning Wendelen, den beiden Geschäftsführern. Den Greedy Twins, wie wir sie firmenintern nennen, da sie nie genug bekommen. Geld, Geld, Geld. Schwindelerregende Beträge. Aber das mit dem Geld ist es nicht. Ich glaube, bei echten Karrieremenschen verhält es sich mit dem Bezug zu Geld grundlegend anders. Reich sein will jeder. Aber es geht bei wahren Geschäftsleuten mehr um so was wie Leidenschaft, um das Erreichen selbst gesteckter Ziele. Das Geld stellt lediglich den Spielstand dar. So auch bei mir. Ich schweife ab.
Ben und ich auf dem Weg in den Einundzwanzigsten. Ben unterbricht unser Gespräch im Aufzug, sein Handy läutet.
»Oh, entschuldige«, sagt er, als er das Display checkt, »ich muss rangehen. Ist
geschlechtlich,
haha.«
Mit übertrieben unschuldsvollem Blick haucht er: »Hi Baby«, nachdem er auf Abheben gedrückt hat. Ben an seinem Hörer, die Tussi an ihrem. In einem Fünfziger-Jahre-Film würde der Bildschirm jetzt in der Mitte geteilt werden, so dass beide zu sehen wären. Er schleimt einen Satz mit »dich ganz doll vermisst« raus. Ich rolle die Augen, und er verzerrt daraufhin seinen Mund und gemahnt mich mit dem Zeigefinger, nur ja ruhig zu sein. »Hey, Baby, ich hab dich nicht vergessen. So … so hab ich das doch nicht gemeint. Du weißt doch, wie du mir …« Er wird abgewürgt, bricht ab, ich sehe ihn teilnahmsvoll an und spitze die Lippen zu einem lautlosen, anerkennenden Pfiff. Dafür ernte ich den Stinkefinger. Mir ist nach einer kleinen Dreistigkeit, und ich zwicke ihn fest in die Brust. Er stöhnt zeitgleich mit dem Pling, das ertönt, als wir unser Stockwerk erreichen. Mit einem gekonnten »muss Schluss machen« (meint er wahrscheinlich gerade sprichwörtlich) legt er auf.
Willkommen im Empfangsbereich unseres Firmenhauptquartiers. Edle Plastikfarne und Pflanzen umsäumen einenplätschernden Wasserfall, der in eine Steinlandschaft eingelassen ist.
»Guten Morgen Herr Lohmeier!« – »Guten Morgen Herr Lohmeier!«, sagen erst ich, dann Ben zu dem Pförtner. Auch ein Krüppel. Seine linke Gesichtshälfte hängt schlaff nach unten, als wäre sie verflüssigt und dann eingefroren worden. Unser Quoten-Behinderter.
X-Mensch. Wenn überhaupt.
Seine prompte Entgegnung: »Guten Morgen, Herr Dr. Peng, guten Morgen, Herr Kerschenbaum.« Seine Stimme ist gewohnt brüchig, als hätte er was im Hals stecken.
Code an der Identifikations-Box eintippen, Augenlaser-Iris-Scan, nochmals bestätigen mit einem B-Code. Wir arbeiten hier in einem Hochsicherheitstrakt. Automatisch öffnet sich die schwere, gläserne Schwenktür.
Einmal geradeaus, einmal links, noch mal links und scharf rechts.
Vorbei an meiner Sekretärin, Therese Schmitz. Habe ich selbst ausgesucht. Ein hinreißendes altes Mädchen, da gibt es nichts. Wir sind ein ziemlich gutes Gespann. Sie wird nächstes Jahr sechzig. Ein fleißiges Bienchen, eine sorgfältig und gewissenhaft arbeitende, attraktive Frau mit null Fehltagen im vergangenen und in diesem Jahr. Frauen sind die verlässlichsten Mitarbeiter. Gleich nach Männern.
»Guten Morgen, Frau Schmitz!« – »Guten Morgen, Frau Schmitz.«
Ben und ich ahnen die Antwort voraus.
»Guten Morgen, die Herren«, sagt sie in unendlich souveräner Kombination aus Routine und Freundlichkeit. Und einer unwiderstehlichen Form von Strenge. So redet sie immer. Kerzengerade sitzt sie vor dem Computer und macht sich wieder daran, weiter zu tippen. Irgendwie ist ein älterer Mensch am Computer keine runde Sache – die Objekte bleiben einanderfremd. Für sie gibt es ein Davor und ein Danach. Ein Analog und ein Digital. Ich schweife ab. Kann mich in letzter Zeit zunehmend schlechter auf ein Thema konzentrieren.
»Könnten Sie bitte dafür sorgen, dass die Schmiererei an der Wand meines Parkplatzes entfernt wird?«, sage ich mit der anweisenden Stimme, mit der wir uns hier alle gefallen. Sie nickt und notiert. Ich bewege meinen Kopf in Abstimmung mit einem milden Lächeln, Zeichensprache für »Danke«, und meine Augen fressen sie. Die hemdhochgekrempelten, freien, schlabbrigen Unterarme, die Silhouette der voranschreitenden Konturenlosigkeit, der auch durch die größte Figur-Disziplin nicht beizukommen ist. Sie hat noch ihre zweiten Zähne, oben wie unten. Glaube ich. Ich kann riechen, dass sie ein Menthol-Bonbon gelutscht hat. Therese Schmitz ist für mich nicht nur eine erotische Bereicherung, ein flotter Feger, wie man zu ihrer Zeit wohl gesagt
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