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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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folge mir.
    »Wie war London?«, frage ich im Vorbeigehen Esther, die mir entgegenkommt. Gut war’s, aha. »Bis später!« – »Jo, bis später.« Zwei glanzlose Lakaien aus der Buchhaltung tuscheln in einer Ecke und sehen so aus, als schürten sie gerade das Bürogerücht des Tages, hat was von Lynchmeute in ganz Klein, wenige Meter weiter sage ich »Jaha« zu einer indiskutabel jungen Auszubildenden (C), die mich untertänig grüßt und einen Packen Druckerpatronen vor sich her schleppt. Sie entschuldigt sich mit ihrem devoten Blick förmlich für ihre eigene Existenz, ich streife vorbei an einem brünetten Etwas (G), das an einer Maschine Dokumente in sich kringelnde Streifen zerschreddert, ich höre jemanden etwas in einen Hörer sagen, von wegen »wahnsinnig dichter Zeitplan« (deutsch: tight schedule), ich ignoriere irgend so einen Systementwickler oder Programmierer in gelber Hose und lila Krawatte, schmächtiger, halsloser Typ, F-Mensch, die Natur hat es wirklich nicht gut mit ihm gemeint, der mich auf dem Gang überholt und hallo sagt, dabei den Blick des Unterprivilegierten nach unten gerichtet, zu schwach für alles, was weiter oben spielt, und frage Lutz’ Sekretärin, die das Öffnen der Morgenpost unterbricht: »Kann ich gleich durchgehen …?« Kann ich.
    Sie springt auf, klopft diskret für mich an. Eine lebhafte und gleichzeitig abgeklärte Dame. Ihr verdammt hübsches Gesicht (solides B) ist vielleicht dreißig Jahre über seine beste Zeit hinaus.
    »Wie geht es Ihnen, Sybille?«, frage ich charmant und starre auf ihr blütenweißes Hemd. Dann auf ihre schwarze Brosche.
    Es ist eine schroffe, herrische Stimme, die das Klopfen beantwortet.Sybille drückt die Tür auf, und ich klopfe selbst noch mal leise an den Türrahmen. Gutes Benehmen hat ganz viel mit gespielter Schüchternheit zu tun. Herein mit mir.
    »Schönen guten Morgen, Robert.«
    »Grüß Sie, Conrad, kommen Sie doch rein, bitte.«
    The American Way. Nennung beim Vornamen, sich dennoch siezen. So nah wir uns mittlerweile auch sind, er hat mir nie das Du angeboten. Ich vermute, weniger die Altersdifferenz als die Angst vor respektzersetzender Kumpelhaftigkeit halten ihn davon ab.
    Seine Stimme ist ruhig, aber ich spüre, dass er erregt ist. Er bedeutet mir, Platz zu nehmen. Dabei zeichnet er ein Formular mit einem Schnörkel ab und gibt seiner Sekretärin einen Wink, die noch in der Tür steht, ohne den Knauf losgelassen zu haben. Sie verschwindet. Ich bleibe. Setze mich. Während er, wie jeder vernünftige Mensch, erst noch eine E-Mail zu Ende schreiben muss, zerlege ich ihn mit meinen dunkelblauen Augen in seine Einzelteile. Sein frühzeitig ergrautes Haar, die dichten Brauen, das schwer zu rasierende Kinngrübchen – der hochgewachsene Typ Strahlemann, der in den obersten Etagen der Industrie und Weltkonzerne immer so gern reüssiert. Marke Erfolgsmensch. AA. Er kennt die Consultingszene seit immer und ist der Gründer und Gottvater dieses Vereins. Und außerdem ein Gönner meiner Person. Ein mir Gewogener. Er hat mich von Anfang an unter seine Fittiche genommen.
    Er sendet seine Mail ab, legt seinen Stift beiseite, den er beim Tippen zwischen zwei Finger geklemmt hatte, schüttelt gereizt den Kopf, trommelt mit den Fingern auf den Tisch und erhebt sich. Irgendwas stimmt nicht. Die Schwingungen im Raum sind seltsam. Meine verschärfte Wahrnehmung verleitet mich zu der Annahme, dass er auf seltsame Art befangen ist. Gleichzeitig sendet mein Kleinhirn die Peripherinformationan mich, den zunehmend zähflüssiger werdenden Schleim aus meiner Nase bisher erfolgreich nicht hochgezogen oder ausgeworfen zu haben. Welche Qual! Aber ich werde die Nase nicht hochziehen.
    Lutz holt Luft, bevor er zu reden anfängt. »Was macht das werte Befinden, haben Sie die Beförderung schon verdaut? Nette Party war das, die Sie da veranstaltet haben. Ist das Büro in Ordnung?« Er stößt die Worte hervor, als handle es sich um eine Beleidigung, und ich habe keine Ahnung, wie ich reagieren soll.
    »Alles bestens.« Ich hebe leicht die Achseln, mein Mund formt ein Lächeln, an dem meine Augen nicht beteiligt sind.
    »Schön«, sagt er, macht zwei Schritte und setzt sich seitlich auf die Kante des Tischs, ist jetzt etwas näher an mir. Vorgeplänkel beendet. Er lehnt sich zusätzlich noch in meine Richtung, zu schnell und zu nah für meinen Geschmack. Ein Bein zum Abstützen auf dem Boden, pendelt das andere vor und zurück. Er sieht mich an. Ich erwidere

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