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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Neunzehn. Neben mir irgendjemand aus dem vierten oder sechsten Stock. Irgendein Mann oder eine Frau oder ein Kind. B-Mensch. Kommt mir nicht in die Quere, krault wie ein Profi. Ich bin kein guter Krauler. Mir bleibt nur Brustschwimmen und ab und zu Rücken, aber das halte ich nie lang durch.
    Zurück in der Wohnung, das Chlor abduschen. Ich nehmemir meine von Ilse vorportionierten 300 Gramm ungewürzten Rindertartar aus dem Kühlschrank. Gibt Power, was ich ganz bewusst nutze, da ich von jeher das Gefühl habe, auf lediglich 20 Prozent meiner körpereigenen Energieressourcen Zugriff zu haben. Ich muss mich zu allem zusammenreißen. Anderen scheint alles viel leichter von der Hand zu gehen. Es könnte natürlich sein, dass sich die anderen auch nur den Anstrich müheloser Aktivität geben (so wie ich) und sich (so wie ich) nach außen nichts anmerken lassen. Aber das glaube ich irgendwie nicht.
    Ich klopfe gegen die Glasscheibe des Aquariums und winke Elton John verabschiedend zu. Als ich neun Minuten darauf vor die Wohnungstür trete, nehme ich abgestandenen Zwiebelgeruch im Treppenhaus wahr. Stammt noch von gestern. Das Ehepaar über mir kocht regelmäßig mit Zwiebeln. Wer kocht denn heute noch mit Zwiebeln! Zwiebeln. Das ist irgendwie rangniedrig. Unverschämt. Rücksichtslos. Das ganze Haus riecht danach, der Mensch dünstet es aus.
    Es ist wirklich schön langsam an der Zeit, wieder umzuziehen. Zwiebeln. Mein Koffer und die Umhängetasche sind tierisch schwer.
    Ich gehe vorbei am Concierge – Gruß – hinaus in die Kälte und lasse die Haustür zuknallen. Die massive Klingel- und Briefkastenanlage scheppert laut vernehmlich. Ich stelle den Koffer ab und muss überlegen, wo ich geparkt habe. Wie jeden Morgen. Mit eingezogenen Schultern rücke ich meinen anthrazitfarbenen Anzug und meine englische Designerkrawatte zurecht. Eigentlich verleiht Männern nur die Wahl ihrer Krawatte einen minimalen Ausdruck von Individualität. Zwiebeln! Ich schüttle den Kopf. Ah, jetzt weiß ich, der Wagen steht gleich um die Ecke.
    Meine Lippen sind etwas rissig. Es ist ein trostloser Morgen. Der Schneeregen legt eine Pause ein. Aber die Wolken hängentief und schwer. Bereit, sich jederzeit wieder zu entleeren. Mein Reisegepäck werfe ich auf die Rückbank des Porsche. Erst seit siebenundvierzig Minuten bin ich wach, es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Ich halte vor einer Drogerie, um mir einen Abdeckstift für meinen Pickel zu kaufen. Schnell werde ich vor dem Kosmetikregal fündig. Als ich mich noch nach einem Parfum umsehe und ein paar durchteste, kommt eine Verkäuferin auf mich zu. Eine typische Drogerie-Nebelkrähe. D-Mensch. Zu viel Rouge, zu viel Farbe im Gesicht, zu viel Haarfärbemittel, zu viel Goldapplikationen auf der Jeans unter ihrem offen wehenden weißen Kittel, zu viel Chanel-Geruch, zu viel von allem.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt sie mit zu viel samtiger Piepsstimme. Jeder, der genauer hinsieht, kann entdecken, dass auch hinter dieser übergutgelaunten Art nichts als Selbstbetrug lauert. Eine große Dosis davon.
    Ich habe bereits eine Vorauswahl von zwei extrem teuren Düften getroffen. Bei Parfums nicht sparen, ganz wichtig!
    »Ja, das wäre sehr freundlich. Ich kann mich nicht entscheiden, welches würden Sie denn nehmen?«, sage ich in irgendwie besorgtem Ton, als ginge es um Leben und Tod. Ich halte ihr zuerst mein linkes eingesprühtes Handgelenk hin, sie schnuppert daran und nickt ein Zur-Kenntnis-genommen-Nicken. Dann reiche ich ihr das rechte Handgelenk. Sie nickt wissend. »Eindeutig das da!« Sie zeigt auf meine rechte Hand. In der Art, wie sie es sagt, klingt es, als habe sie einfach recht. Ich hebe das zugeordnete Flakon in Form eines Obelisken in die Höhe und sage: »Also das da? Das da ist Ihr Favorit?« Sie nickt. Klare Sache. Super. Das hilft mir bei der Entscheidungsfindung. Ich nicke zurück, sage: »Wunderbar, vielen Dank!« Sie lächelt. Und klar, ich nehme das andere. Nicht auszudenken, wenn man auf so jemanden hören würde. Ich stelle die von ihr empfohlene Packung zurück ins Regal. Sie sieht’s. Und klar, sie lächeltnicht mehr. Sie starrt mich wie vor den Kopf gestoßen an. Ich schaue verabschiedend zu ihr rüber, nichts für ungut, und gehe mit dem ermittelten Parfum Richtung Kasse, im sicheren Wissen, die richtige Auswahl getroffen zu haben. Das nennt man Ausschlussverfahren.
    Ich stehe in der kurzen Schlange vor der Kasse und knöpfe mir den Mantel zu, als ob das meine

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