Paranoia
ist unveränderlich schlecht. Und die Ampel kann nichts dafür. Sie springt auf Grün.
Sich aussöhnen mit damals, vergeben, vergessen, verzeihen.
Niemals. Niemals. Unmöglich.
Ich werde nichts verzeihen.
Niemals. Niemandem.
Auch wenn ich jetzt daran endgültig zu zerbrechen drohe.
Verrückt werde.
Vielleicht war diese Eskalation von Anfang an absehbar. Unausweichlich, wie ich mir inzwischen sicher bin. Es ist, als wäre ich unfähig, den mir vorgeschriebenen Pfad zu verlassen und das Schwarze in mir zu bezwingen.
Ich werde niemandem vergeben.
Weil ich nicht zu verzeihen im Stande bin. Denn wenn ich es tue, kann ich nicht mehr mit mir selbst leben.
Weil ich es bin, für den es keine Vergebung gibt.
Ich fahre vorbei am Gebäude des Gebrauchtwagenhändlers, an dessen Hauswand, auf Höhe des ersten Stockwerks, die vordere Hälfte eines echten Autos aus der Mauer ragt. Die aufgemaltenZiegelsteine und wegspritzenden Betonsplitter inklusive. Als würde der Wagen in voller Fahrt von innen die Wand durchbrechen und herausschießen. Eher ein Landdisco-Motiv.
Heute schaue ich mir diese Geschmacksverirrung fast schon übergenau an, als ließe sich irgendeine Hoffnung daran knüpfen.
Ich komme mir vor, als wäre ich mir Leidgenosse und Kontrahent in einem. Ich weiß, auf mich wartet ein einziges großes Versteckspiel. Die Verdunklung des Umstands, dass ich nicht mehr funktionsfähig bin. Aber vielleicht war ich das auch noch nie.
»Sie haben ihr Ziel erreicht«, sagt Frau Navigator fünfzehn Minuten später. Ein Drittel sinnlich, ein Drittel bestimmt, ein Drittel abgehackt. Für mich klingt ihre Stimme nach einer attraktiven Person. Aber nichts täuscht so sehr wie Stimmklang.
Den Rest des Tages verbringe ich völlig erschlagen vor dem Fernseher. Mich hat’s grippal schwer erwischt. Nicht nachlassender Schüttelfrost. Ich habe mir sogar selbst einen Tee gekocht. Bis ich so was mache, muss schon einiges passieren. Auf meinem Schoß und neben mir auf der Couch, ein Meer von gebrauchten Tempotaschentüchern. Telefon aus.
Ich hänge in den Polstern wie ein nasser Sack. Das hochfrequente Piepen, das der Fernseher von sich gibt, nervt mich, sogar wenn der Ton läuft. Die Fernbedienung in meiner schlaffen, ausgestreckten Hand, zappe ich so lange hin und her, bis ich nicht mehr damit aufhören kann.
Bei einer Schiffskatastrophe kamen fünfzig Menschen ums Leben. »Darunter auch zehn Kinder und dreizehn Frauen.« Der streng gescheitelte Sprecher betont das wohl gesondert, weil Kinder und Frauen mehr wert sind als die anderen, vermute ich. Nächstes Thema. Die Mutter eines gestern entführtenund getöteten Siebenjährigen tut das einzig Logische: Sie gibt ein Fernsehinterview. Wohl weil der Aufwand von Gefühlen sich erst dann richtig lohnt, wenn andere es wahrnehmen – und weil die rituelle Inszenierung von Trauerarbeit erst durch Öffentlichkeit ihre wahre Bedeutung erlangt. Ohne Zuschauer ist letztlich alles vergeudet, was man tut. Dann hat noch jemand, von dem man das nie vermutet hätte, seine Familie abgemurkst. Und diese Meldung wird abgelöst von einer euphorisch dargebrachten Wettervorhersage. Zum Ausrasten. Man hat das Gefühl, die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung besteht aus Meteorologen, und die andere Hälfte hängt gespannt an ihren Lippen. Der blöde Quasselheini sagt, das Wetter bleibe schlecht. Aber er will damit sagen, es bleibt kalt. Da besteht ein Unterschied. Nach der Schlussmoderation und dem »Wir melden uns wieder um 1 Uhr 30 mit den Spätnachrichten, bis dahin, guten Abend« schaltet die Regie nicht gleich auf Abspann, und man fühlt sich fast bei der Komplettverrohung ertappt, als es weder dem gleichmütig in die Kamera lächelnden Sprecher noch mir null peinlich ist, dass er eben noch zwanzig Sekunden wie bestellt und nicht abgeholt schweigend in die Linse starren muss, bis es endlich mit dem Programm weitergeht. Das nur geringfügig spannender ist. Ich schalte auf zwei, acht, neun, bleibe kaum wo länger als ein paar Sekunden hängen. Ein Regionalsender bringt sogar Stadtteilwetter. Dann läuft irgendwas mit Kochen und irgendwas mit Liebe. Und ein Talk mit Promis, die bereits in zu vielen solcher Shows ihr Leben durchgenudelt haben. In einem amerikanischen Beziehungsthriller erwische ich die Szene, in der ein Mann seine Ehefrau in flagranti mit einem Anderen im eigenen Schlafzimmer erwischt. Und der Hornochse schickt sich an, den splitternackten Lover zu verprügeln. Dabei müsste er doch
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