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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Plastikeinsatz mit Seife unter dem immer noch laufenden Wasser ab. Im Anschluss halte ich mein Gesicht kopfüber unter den Hahn und verpasse mir eine Nasenspülung. Das eine Loch, dann das andere. Nachdem ich mich wieder aufgerichtet habe, pruste und huste ich wie der Teufel. Spucke röhrend ins Handtuch.
    Es ist noch etwas Red Bull von gestern im Glas, mit dem ich meine Schlaftabletten runtergespült habe. Ich drücke mir eine Insidon in die Handfläche, werfe sie in den Mund und trinke nach.
    Es ist noch nicht ganz hell draußen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie in der Küche der gegenüberliegenden Wohnung das Licht angeht. Sie scheint heute auch früher dran zu sein.
    Die brünette Zwanzigjährige, die allmorgendlich in ihrer kleinen Küche Tee kocht. Sie ist wie immer nackt. Unter ihren Achselhöhlen bis hin zur Hüfte ist ihre Haut erkennbar heller. Ein weißer Streifen als Indiz für Solariumbräune. Sonnenbank ist wieder schwer im Kommen, habe ich das Gefühl.
    Ich mache einen Schritt zurück in den Sichtschutz der Tiefe meines Badezimmers, damit sie mich nicht bemerkt. Siestreckt sich, um die Teedose zurück ins oberste Regal zu stellen. Ihr unordentlich zusammengebundener Pferdeschwanz wackelt dabei hin und her. Sie bewegt sich völlig natürlich. So als denke sie gar nicht darüber nach, ob sie jemand beobachten könnte. Würde sie es provozieren, gesehen zu werden, wäre das Ganze weniger attraktiv. Man würde es merken. Sie, bei ihrer Morgenprozedur: Der Herd wird aufgedreht, die Kanne mit Wasser gefüllt und auf das Ceranfeld gestellt. Ich recke den Hals, um die Situation zu überblicken, aber nur noch mechanisch. Der Ausblick nutzt sich schnell ab. Jeden Tag dasselbe. Dieselben Bewegungsabläufe. Dieselben Rituale. Dieselben gebräunten Arschbacken. Voyeurismus befriedigt bei mir nur einen Beobachtungsreflex, keine Geilheit.
    Die junge Teetrinkerin von gegenüber verschwindet in den hinteren Räumen ihrer Wohnung. Ich bleibe trotzdem noch etwas stehen, die gewohnten drei Meter vom Fenster entfernt. Versunken, etwa in der Stimmung, in der man ist, wenn man stumpf dem Freizeichen nachhorcht, nachdem jemand bereits aufgelegt hat.
    Ihr Tee kocht. Ich sehe, wie die Dampfsäule aus dem Schnabel der Kanne emporsteigt. Sie kommt wieder rein und hebt die Kanne eilig vom Herd. Vielleicht hat es gepfiffen, die Szenerie hat Stummfilmcharakter. Aus dem Nichts dreht sie sich ganz plötzlich zum Fenster und sieht zu mir herüber. Entsetzt und wie vom Blitz getroffen, stehe ich da. Sie starrt mir direkt in die Augen. In der einen Hand hält sie den Wassertopf. Sie trägt jetzt ein Höschen, an der freien Hand einen Armreif, von dem ich nicht weiß, ob sie ihn vorhin auch schon anhatte. Ihr Blick zielt genau auf mich. Ich rühre mich nicht, mein Mund steht einen Spalt offen. Und dieser Mund bewegt sich in seiner Offenheit hilflos und kläglich. Ein klein wenig zu, auf und wieder zu, ohne sich ganz zu schließen.
    Sie kann mich unmöglich sehen. Die Spiegelung der Scheibe,die Dunkelheit des Raums, meine Distanz zum Fenster. Unmöglich.
    Ihr Gesichtsausdruck, überrascht?, spöttisch?, vorwurfsvoll?
    Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll. Also lasse ich ein paar Sekunden vergehen. Das ist mir noch nicht passiert. Es fühlt sich an, als sei etwas Unausweichliches endlich eingetroffen. Im Luftraum zwischen uns, zwischen den Häusern, wehen einzelne Schneeflocken. Unsinn, sie sieht mich nicht. Und doch habe ich den Eindruck, wir haben Augenkontakt.
    Auf hervorgekehrt beschäftigte Art wende ich mich zum Waschbecken und mache den Wasserhahn auf, sehe weg. Sie hat so unvermittelt herübergeschaut. Zielgenau. Ohne Andeutung, ohne Vorwarnung. Wird sie ab morgen das Rollo runterlassen oder sich was anziehen?
    Ich überlege, ob sie noch guckt. Gespielt routiniert greife ich zum Handtuch und drehe meinen Kopf wie beiläufig in ihre Richtung, während ich mir die trockenen Hände abtrockne.
    Ihre Küche ist geisterhaft leer. Sie ist verschwunden.
    Ich atme aus und hänge das Handtuch auf seine Stange. Vorbei. Dennoch will keine rechte Erleichterung aufkommen. Ich fühle mich irgendwie schuldig.
    Ich gehe in die Küche, grüße die Fischlein im Aquarium, obwohl nur ein Zehntel der Belegschaft zu sehen ist, gieße mir ein Glas Orangensaft ein und trinke es stehend aus.
Hemden aus Reinigung holen
trage ich in Ilses Erledigungsliste ein.
    Im Swimmingpool im Untergeschoss des Hauses ziehe ich meine siebzehn Bahnen. Achtzehn.

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