Paranoia
Zaster. Nur Zufall.
Ich finde sowieso alle abstrakten Werte lächerlich. Ein beliebiges Edelmetall, Gold, Silber, Platin, ist genauso bedeutungslos wie ein Häuflein Blech. Das wäre die Wahrheit. Aber unsere Wahrheit beruht auf einem Konsens. Der Wert einer Sache bemisst sich nur aus dem Umstand, dass die Mehrheit sich darauf einigt, den Wert als solchen zu respektieren. Ich schweife ab. Kommt von diesem blöden Kunstwerk. Aber wenn ich das sehe, denke ich mir das.
Jedes Mal.
Die Jacke des gelbzahnigen Portiers sieht aus wie ein Skianorak. Er (E-Mensch, ein AA könnte bei ihm nur für AnonymeAlkoholiker stehen) erhebt sich und will mich anmelden. Ich gebe ihm aus einiger Entfernung ein Zeichen, noch zu warten, und gehe Richtung Toilettentür mit einem großen G. G für Gents. Pseudo. Denk ich mir jedes Mal.
Es dauert eine Weile, bis ich vor dem Pissbecken in Gang komme. Ein Aufkleber fordert mich auf:
Bitte nur ins Pissoir urinieren
Man hätte auch schreiben können:
Bitte nur ins Urinal pissen
Denke ich mir jedes Mal. Doch so oder so, leider ist mir beides nicht hundertprozentig gelungen. Vereinzelte Spritzer am Boden und eine kleine Lache. Vor dem Spiegel trage ich den Abdeckstift auf meinen Pickel auf. Hilft nicht viel. Die Handwäsche nehme ich mit einer Seife vor, die laut Spender »Dermatologisch getestet« ist. Was mir nichts bringt, wenn man mir das Ergebnis dieses Tests nicht mitteilt. Denk ich mir jedes Mal.
Ich lege einen Euro und drei Ein-Cent- und vier Fünf-Cent-Stücke, also mein ganzes Silber eben, in eine umfunktionierte weiß-blau gepunktete Untertasse. Für die unbekannte Klofrau.
Als ich aus der Toilette komme, achtet der Portier darauf, die Hintern zweier vorbeilaufender Sekretärinnen keines Blickes zu würdigen. Er schaut mit einem Gleichmut weg, der Selbstauslöschung ist. Die Absätze der Schnepfen klackern wie Pferdegalopp und sind so hoch, dass einem unwillkürlich auch die eigenen Füße wehtun. Rangordnungsbedingt darf ich ihren tadellosen Popos (A-Klasse) nachsehen, während ich ihm deute, er könne mich jetzt anmelden. Was er auch tut. Er wird ganz rot im Gesicht. Süß. Er telefoniert mit einer Fistelstimme, für die er in der Schule sicher viel hat einstecken müssen. »Karl-Heinz Möslechner, Pforte/Security«, verrät das Kärtchen an seinem Revers. Verflixt, hätte Mozart nicht Mozart, sondernMetzger geheißen oder Picasso nicht Pablo, sondern Horst, ich bezweifle, dass ihrer aller Ruhm auch heute noch dermaßen leuchtend und zeitlos strahlen würde. Denk ich mir öfter.
Ich nicke Mösi leicht zu, er mir auch. Zeichen gegenseitiger Ehrerbietung und Abstandswahrung in einem. Vielleicht täuscht sein nichtssagendes, schmerbäuchiges Äußeres, und er malt auch Kunst. Und arbeitet gerade an seinem Meisterwerk. Und kommende Generationen werden über ihn berichten als einen der Superstars, der erstaunlicherweise – man mag es nicht glauben – zu Lebzeiten kaum beachtet wurde.
Ich gehe zum gläsernen Fahrstuhl und drücke den Aufwärtsknopf. Ich steige ein, und zwei Wichser in Anzügen kommen angelaufen, schießen auf mich zu und springen noch mit rein, so dass die Tür, die bereits zur Hälfte geschlossen war, wieder aufgeht und extra lange benötigt, um erneut zu schließen.
Wir mustern einander schnappschusskurz. Meine Schuh-Mantel-Hemd-Kombination ist die teuerste in der Kabine. Ich hasse diese hohle Abgleicherei, auch wenn ich unbeirrt weitermache, als käme es darauf an, dass diese beiden Fremden den Eindruck von mir bekommen, den ich für angemessen halte. Die beiden Hutzelmännchen (C-Menschlein) sind keine fünfundzwanzig, und wenn ich sie mir in T-Shirts vorstelle, sehen sie aus wie Pausenmilchverschütter.
Der eine ist locker zwei Meter groß und überragt den anderen auf etwas unglückliche Weise. Es muss daran liegen, dass der Riese in mir zusätzliches Publikum wähnt, weshalb er anfängt, dem anderen Bubi zu erzählen: »Aber den kennst du noch nicht, oder? Sagt der Arzt zum Patienten: Es ist sehr ernst, und es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber Sie haben zwei Krankheiten – Krebs und Alzheimer. Darauf sagt der Patient: Na, Gott sei Dank keinen Krebs!« Prustendes Gelächter. Altherrenwitze! Höre ich immer wieder gern. Ich spüreden prüfenden Blick des Zyklopen, ob ich auch schmunzeln muss und damit ganz locker ein Gefühl von Affinität und Beziehung herstelle. Eher friert die Hölle zu, Bürschchen. Stattdessen ziehe ich einen
Weitere Kostenlose Bücher