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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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seine Frau verdreschen. Ich meine, die hat ihm doch die Treue geschworen und nicht der Typ, mit dem sie fremdgegangen ist. Ichchecke das nicht. Grundsatzproblem. Muss unverzüglich umschalten. Ich ziehe mir noch ein Tempo aus der Packung. Seit der Erfindung von Papiertaschentüchern hat sich die durchschnittliche Dauer von Erkältungen verringert, weil die früher verwendeten Stofftücher länger benutzt wurden und die darin zurückbleibenden Bazillen mehr Chancen auf Neuangriff hatten. Segen der Wegwerfgesellschaft. Ich schnäuze und lande auf Kanal 11. In einem britischen Krimi findet eine Achtzehnjährige heraus, dass sie adoptiert wurde, und kriegt gleich einen Hysterischen. Obwohl ihre Adoptiveltern offensichtlich liebevoll und fürsorglich waren. Daraus soll mal einer schlau werden. Sie kreischt und wütet, macht Ex-Mama und Ex-Papa Vorwürfe, ihr die Wahrheit vorenthalten zu haben. Ein Tobsuchtsanfall. Sie will sie sogar verklagen. Krieg dich wieder ein, Mädel. Lief doch prima für dich. Was interessiert dich, wer deine biologischen Eltern sind? Wäre mir an deiner Stelle total gleichgültig. Wollen wir wetten? Sie macht immer noch eine Szene und möchte auf der Stelle nachforschen und ihre echten Erzeuger unbedingt treffen. Was verspricht sie sich davon? Ich verstehe das nicht. Die Leute wollen kein Happy End. Kann man nicht mit anschauen. Also zappe ich weiter und erwische eine Reportage über einen schwarzen US-Amerikaner in orangenem Overall, der seit siebzehn Jahren in einem kühl gekachelten Zellentrakt auf seine Hinrichtung wartet. Morgen ist es so weit. Ein paar Klugscheißer diskutieren über Pro und Kontra der Exekution an und für sich. Ethik, Moral, Gewissen, Verantwortung. Diese leeren Worthülsen passen zu ihren Gesichtern. Was gibt’s da zu diskutieren? Hinrichtung ja/nein. Schon die Frage ist falsch. Es geht doch nicht darum, ob Tod eine sinnvolle und zu rechtfertigende Strafe darstellt. Weil der Tod überhaupt keine Strafe ist. Jemanden in eine Nicht-Existenz zu versetzen – also in denselben Zustand wie
vor
dessen Geburt –, bedeutet bestenfalls, ihn vor einer
echten
Strafe zuverschonen. Ich verstehe die Denkvorgänge normaler Menschen hinten und vorne nicht. Kurz bevor ich ausschalten will, um ins Bett zu gehen, bleibe ich bei einem Bericht über einen Extrembergsteiger hängen, der ohne Seil und Hilfsmittel eine Steilwand erklettert. Die Sonne brennt erbarmungslos auf einen konturenlosen, Hunderte Meter hohen Felsblock. Der Freeclimber hängt in der Wand und arbeitet sich nur mit Geschick und Muskelkraft in hoher Geschwindigkeit nach oben. Geschmeidige, kraftvolle Bewegungen. Unvorstellbare Willensaufwendung. Ein angespannter, sehniger Körper. In der nächsten Einstellung meistert er einen Überhang, hängt nur an seinen beiden Armen in schwindelerregender Höhe. Und dann frage ich mich, wie der da wohl wieder runterkommt. Dort raufklettern, ohne alles – schön und gut. Aber den Abstieg, den sieht man nie. Der Abstieg. Der ist doch eigentlich viel schwerer.

20
    Drei Stunden Schlaf. Ich reibe mir die Augen. Ich habe Mühe, wach zu werden. Im Bett hatte ich Mühe, müde zu werden. Trotz doppelter Tablettendosis Vivinox bekam ich heute Nacht meinen Kopf einfach nicht frei. Außerdem kann ich nur schwer Ruhe finden, wenn ich weiß, dass ich am nächsten Morgen zeitig aufstehen muss. Ein lautes Rumoren in meinem Magen erinnert mich an das chinesische Essen gestern. Es verursacht noch immer Sodbrennen, wie es nur Glutamat in Verbindung mit mangelnder Küchenhygiene hervorrufen kann. Mein Befinden: bescheiden. Von meiner Erkältung ganz zu schweigen. Und trotzdem geht es mir in puncto geistiger Klarheit heute deutlich besser. Habe ich das Gefühl.
    Durch das Badfenster sehe ich, wie der Regen sich langsamin Schneeflocken transformiert. Flocken, die schmelzen, bevor sie den Boden berühren. Ich lasse das Wasser laufen, es braucht ein paar Sekunden, bis es warm kommt. Die Außenjalousien schlagen bei jedem Windstoß hörbar gegen die Scheibe. Heftiger Sturm.
    Die Tür des Spiegelschränkchens über dem Waschbecken quietscht ein bisschen, als ich sie öffne. Und zwar auf Höhe eines spitzen Drehwinkels von ungefähr 42 Grad zur Frontfläche und dann noch einmal im Bereich des stumpfen Winkels bei 110 Grad.
    Ich nehme die Kunststoff-Schiene aus dem Mund, die verhindert, dass sich mein Gebiss zu schnell abschmirgelt. Ich malme im Schlaf, bin ein notorischer Zähneknirscher. Ich spüle den

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