Paranoia
ein
Eis
pickel, kann das sein? Und zwar in seinen Schädel getrieben! Aber du hast schon recht, man kann nie vorsichtig genug sein.« Ich schenke ihm ein dünnes Grinsen. Er mir nicht mal das. Normalerweise kann er über seine eigenen Scherze am besten lachen. Draußen geht eine Autoalarmanlage los. Joel und ich, wir denken kurzzeitig beide das Gleiche, erkenne ich an seinem Blick. Ach nein, unwahrscheinlich. Wir entscheiden, im Café um die Ecke noch kurz was trinken zu gehen, so viel Zeit habe ich noch, und nehmen für die fünfhundert Meter sein neues Auto. Porsche Cayenne Turbo S, Sondersonderausstattung, das ganz neue Modell. Verbraucht in der Stadt nur rund 25 Liter. Das geht. Riecht wie eine teure Handtasche. Hat noch mehr Extras als meiner. Kann man nichts machen. Aus Pflichtschuldigkeit nicke ich anerkennend vom Beifahrersitz,als wir schon ein paar Meter gefahren sind. Ja, ja toller Wagen. Streiche mit der Handfläche bedächtig über eine Konsolenfläche, die gerade in Reichweite ist. Autos üben nicht die geringste Faszination auf mich aus, interessieren mich einen feuchten Kehricht. Ich beurteile sie ausschließlich nach ihrem sozioökonomischen Status. Jammerschade. Denn im gesellschaftlichen Kontext sind gegenläufige Tendenzen anstrengend. Man muss sich immer verstellen und seine wahre Meinung verschleiern. Nüchternheit ist viel anstrengender als Begeisterungsfähigkeit. Einmal mehr in meinem Leben sage ich also ein langgezogenes »Seeehr schön«, hätte das erledigt und wende meinen Blick von den edel verkleideten Armaturen ab. Ein feiner, trüber Regen fällt geräuschlos vom Himmel auf die Fensterscheiben, wie ein dünnes, durchsichtiges Leichentuch. Joel sieht zu mir herüber, macht den Mund klein und nickt, was seinen Stolz auf den Wagen als aufrichtige Bescheidenheit ausweisen soll. Der Anblick ist zum Speien. Ich sage: »Nu krieg dich wieder ein, du hast das Ding ja nur gekauft. Nicht gebaut.«
23
Etwas später biege ich auf die A9 Richtung Flughafen und werde sogleich von einer dunklen Unterführung aus Stahl und Beton verschluckt. Als sie mich wieder ausspuckt, gehe ich richtig in die Eisen, fahre dem Wagen vor mir bis auf zwei Meter auf und betätige ungeduldig die Lichthupe. Das Café-Gespräch mit Joel gerade eben war ziemlich öd, völlige Zeitverschwendung, weil er in letzter Zeit ziemlich öd geworden ist, seit er mit dieser Kuh verheiratet ist, die mich nicht ausstehen kann. Und seit er Vater geworden ist. Wir spielen seitdem nur noch einmal im Monat Tennis.
Ich ziehe an meiner Krawatte, zerre am Knoten und öffne den obersten Hemdknopf.
Joel hielt es für angebracht, mir zu erzählen, dass Yvette (Yvette!) letztes Wochenende auf einem Flamenco-Seminar war. Gut zu wissen, danke. Flamenco-Seminar. Ich schaffte es fast, mir das Lachen zu verkneifen, und erlaubte mir zu sagen, dass das verdächtig nach Jodeldiplom klingt. Ich hätte gedacht, er findet das lustiger, aber er hat doch tatsächlich nur so schief gegrinst, weil er es wahrscheinlich doch für irgendwie süß hält. Liebe verblödet wirklich total. Mittlerweile sind Joel und Yvette eine Institution, die eine verlässliche Meinungsgleichheit pflegt. Geheiratet wurde letztes Jahr – natürlich am 10. 10. 10. Klar. (Kotz.) Sie sind jetzt offiziell »Wir«! Das dürfte Yvette (ächz) sehr entgegenkommen. Denn abgesehen von Flamencotanzen hat sie keinerlei eigene Interessen und daher überhaupt keine Wahl, außer Partnerschaft als alleinigen Lebensinhalt zu betrachten und die Ansichten ihres Joels zu ihren eigenen zu machen. Sie ist eine typische »Bist’n Schatz«-immer-in-Eile-Chanel-Gucci-Hermes-Tusse mit unglücklich-verwöhntem Gesicht (A-Kategorie, zugegeben), die permanent den Eindruck erweckt, alles sei unter ihrer Würde. Nutzlos in Erbfolge: Bereits ihr Vater gelangte mit Erlangen des einundzwanzigsten Lebensjahrs an ein einstelliges Millionenvermögen, das genau groß genug war, um jegliche beruflichen Ambitionen komplett im Keim zu ersticken und ihn fortan als Privatier reüssieren zu lassen. Randnotiz: Es gibt ein Familienwappen. (Würg.) Töchterlein Yvette steht ihrem Herrn Papa in punkto Respektabilität in nichts nach. Ihre Kernkompetenz bestand früher im Gekonnt-rumstehen in Nobeldiscos, nahm einen Umweg über eine (auf halbem Weg abgebrochene) Ausbildung zur Heilpraktikerin (Naturheilkunde als Sinnbild für seelisches Komplettvakuum) und kulminiert mittlerweile in der Verkörperung des
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