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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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als wäre es zu viel gewesen, ständig um den heißen Brei zu reden. Versteckspiel eben. Ich schiebe mein Kinn vor, um den Druck des Kragens auf meinen Hals zu lindern. Was mache ich hier? Was erwarte ich mir eigentlich?
    »Weißt du«, sage ich schleppend, »ich dachte mir, es wäre womöglich gut, bereits im Vorfeld etwas zu tun. Zuvorkommen. Vorkehrungen treffen. Szenarien durchspielen. Ich weiß nicht. Ich bin momentan zu ungeordnet. Wie ich dich kenne, wirst du sagen, erst mal nichts tun ist das Klügste, schon klar, aber zu Besonnenheit bin ich gerade nicht in der Lage. – Scheiße.«
    Sofort komme ich mir vor wie meine Kunden. Eigentlich will ich von ihm nur hören, was ich ihm hier suggeriere. Joel sieht mich ernst an. So ganz kapiert er die Lage nicht. Würde ich auch nicht, angesichts meiner halbherzigen, vagen Schilderungen – eher: Verschleierungen. Er trinkt nachdenklich (Grüblerpose) einen Schluck Kaffee und wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab. Das wirkt komisch, etwas hilflos. Ich schweige und halte ab und an die Luft an, damit meine Nervosität etwas zum Spielen hat. Wenn ich in seinen Aschenbecher blicke, würde ich sagen, er zündet sich gerade die zu vielte Zigarette des Tages an.
    Mit seiner routiniert milden Stimme erklärt er, »Das ist schon brenzlig, mein Lieber«, lehnt sich zurück, lässt das Feuerzeug zuschnappen. »Was hast du denn da angestellt? Ich meine, so kenne ich dich gar nicht. Du bist doch eigentlich die Ruhe selbst.«
    Schon gut. Das hör ich letztens öfter.
    Wir reden noch etwas weiter so herum, für mich ist die Zeitverschwendung offensichtlicher, weil ich die Wahrheitkenne, und wir beschließen – wer hätte es gedacht –, tatsächlich erst einmal abzuwarten. Joel sagt, er wird gleich morgen meinen Arbeitsvertrag noch mal durchsehen und dann vorschlagen, was wir von uns aus unternehmen könnten. Ich wusste doch, das hier würde nichts bringen.
    »Gesetzt den Fall, dein Arbeitsverhältnis endet kurzerhand – von wem nun eine Kündigung ausgesprochen wird, sei jetzt mal dahingestellt –, du bist finanziell doch abgesichert, oder?«
    »Ja, ja, das ist nicht das Problem. Keine Sorge.« Ich weiß nicht warum, aber irgendwie nervt mich die Frage. Ihm sind meine Einkommensverhältnisse doch bekannt. Ich habe mehr als nur den halben Weg zum Wohlstand zurückgelegt. Vermutlich rührt Joels Frage daher, dass er durch die Wirtschaftskrise vor zwei Jahren enorm viel Geld verloren hat (Aktien) und seine Neid-Hass-Projektion auf mich immer noch nicht abgeklungen ist. An mir ging der Crash nämlich komplett vorbei. Ich lege konservativ an. Gemäßigt, aber gesichert. Glückspiel ist was für Idioten. Aber genau diese Idioten machen sich über Sicherheitsgeher lustig, wenn ihre Börsenwerte gerade gut stehen. Du-Angsthase-, Was-ne-lächerliche-Rendite-, Nur-wer-wagt-gewinnt-Gefeixe. Aber wehe, wenn’s nach unten geht. Und nach unten geht’s immer.
    »Okay, na, dann ist ja gut«, bestätigt Joel mir. Er hebt die Hände und lässt sie mit einem Klatschen auf seinen Oberschenkeln landen. Er sieht mich aufmunternd an. Bin ich so von meinem Argwohn vergiftet, dass ich in allen Äußerungen nur Kalkül entdecken kann? Ich niese und lasse einen Hustenanfall vom Stapel, der mindestens eine Minute dauert. Ich entschuldige mich. Diese Erkältung kriegt mich nicht unter. Ich schnäuze mich in ein Tempo, knülle es zu einem Klumpen zusammen und werfe es in den ungefähr drei Meter entfernten Abfallkorb hinter Joels Sessel. Versenkt.
    Joel fragt: »Brauchst du für Nowosibirsk noch irgendwasvon mir?« Er schaut dabei der Wurfbahn hinterher und nimmt meinen Volltreffer zur Kenntnis. Ich gucke, als hätte ich noch nie danebengeworfen, und antworte: »Ich hab alles, danke. Mein Flug geht in drei Stunden.«
    »Na, da wünsch ich dir viel Glück. Wenn was ist, ich bin ja immer erreichbar … Du, übrigens …« Er lehnt sich nach vorne und greift nach seiner Marlboro Light.
    »Was denn?«
    »Du hast da was!« Joel zeigt mit dem Finger auf meinen Kopf. Ich kneife die Augen zusammen, als würde ich nicht verstehen und bilde einen Satz mit den Worten
leck
und
mich,
fahre mit dem Zeigefinger knapp unter meinem pochenden Pickel herum und sage: »Ja, ich weiß. Mist, ärgerlich, unnötig, einfach Mist.«
    »Pass auf. Damit ist nicht zu spaßen. Trotzki ist an einem Pickel sogar gestorben.«
    »Trotzki? Leo Trotzki?«
    »Genau der.«
    »Na gut, aber ich glaube, das war kein Eiterpickel, sondern

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