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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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paar Kilometer steht auf dem Seitenstreifen ein mahnendes Verkehrsplakat mit einem Mädchen darauf, welches das Trauerfoto seiner verstorbenen Eltern in Händen hält.
Runter vom Gas
. Die Kleine blickt aber so düster drein, mit ihren dunkel umrandeten Augen und dem Schwarz-Weiß-Bild von Mami und Papi vor der Brust, dass man eher den Eindruck gewinnt, sie habe ihre Eltern auf dem Gewissen.
    Ich reiße mir einen Schokoriegel auf (Mars), öffne das Fenster auf der Beifahrerseite einen Spalt, piep-piep-piep, checke die gerade eintrudelnde SMS, von Esther, sie schreibt was Nettes, nett, und überhole dabei einen popligen Ford rechts. Was soll ich denn tun, wenn er keinen Platz macht? Linkströdler! Eine GB-Plakette klebt auf seiner Stoßstange. Engländer. Hat wohl ein Umgewöhnungsproblem vom Linksverkehr. Preisfrage: Sind bei englischen Autos, trotz Lenkrad auf der anderen Seite, die Fußpedale dennoch so angeordnet wie bei unseren Wagen oder spiegelverkehrt? Ich schweife ab. Ich würdige den Briten keines Blickes, als ich rechts auf seiner Höhe bin, gehe mit einem verächtlichen Stirnrunzeln über ihn hinweg. Und schere schön knapp wieder nach links ein. Nimm das, Motherfucker. Im Rückspiegel erkenne ich, er muss stark bremsen. Ichempfinde warme Genugtuung. Hier wird anders gefahren, Buddy. Gewöhn dich dran. Erniedrigung ist doch eins der besten Gefühle, die es gibt. Er hat eine silberne Heiligenfigur auf dem Armaturenbrett angebracht. Mittig. O jemine. Die Ministatue eines Kopftuchpropheten mit ausgebreiteten Armen. Wahrscheinlich Sankt Christophorus. Der Schutzpatron aller Wichser.
    Während ich mit 230 km/h das Autobahnkreuz passiere, dessen Nummer und Namen ich mir genauso wenig merken kann wie Dinge, die ich mir nicht merken will, drehe ich das Radio voll auf. Wegen einer Geisterfahrermeldung wird ein Song unterbrochen, und ein Organ brüllt mich an, dass einem auf irgendeiner A soundso ein Hirnamputierter entgegen kommt. Dann setzt der Song wieder ein und ist nicht mal mehr halb so geil wie davor. Also gebe ich noch mehr Gas. Presse meinen Kiefermuskel zusammen. Er wird steifer und steifer. Ein halbes Red Bull später beendet eine vermutlich kehlkopfkrebskranke Privatradio-Moderatorin ihre Staumeldungen mit dem Satz »Wo’s rollt, gute Fahrt«. Ja, und wo’s nicht rollt, sollen die Leute verrecken, oder was? Ich tippe hektisch auf den Radiostationstasten rum und übergehe eine Wettervorhersage, die mir haargenau schildert, wie das Wetter da ist, wo ich gerade bin. Vollgas.
    Ich weiß auch nicht warum, aber was meine Aggression betrifft, kann ich mir noch so oft sagen: Ist ja gut!
    Nichts ist gut.
    Gerade werden im Radio Tickets für den heute Abend stattfindenden Gig von Pink verlost. Der vierzehnte Anrufer gewinnt zwei Tickets für den Auftritt. Der vierzehnte Anrufer ist Gerlinde aus Nie-gehört. Der Moderator klingt frenetisch: »Gerlinde, Gratulation, die Karten gehen an dich. Freust du dich?« Und wie sie sich freut. Sie lässt einen schrillen Quietsch los, genau so, wie wir alle gelernt haben, uns öffentlich zufreuen. Aber sie ist tatsächlich euphorisch. Verständlich, denn wie sie uns verrät, ist sie ein Riesenfan von Pink. So riesig, dass sie sich die Karten bei Vorverkaufsstart vor drei Monaten einfach mal nicht selbst gekauft hat.
    »Gerlinde, wen nimmst du heute Abend mit?«, möchte der Radiomann schließlich noch wissen. Ich schätze ihren Freund Shreck – und schalte um, bevor Gerlinde, das G-Menschlein, die Chance hat zu antworten.
    Kurz vor der Abzweigung zum Flughafen will ich mich einfädeln, als ein auf der mittleren Spur fahrender Renault plötzlich einen Tick nach links zieht, auf meine Spur. Ich erschrecke, steige in die Bremse und nähere mich gefährlich der Leitplanke. Hupe! Hupe! Hupe! So ein Schürfstreifen an der Flanke würde sich ja vielleicht ganz gut zu meinem Lackkratzer machen. Das würde dir so passen, du Arschloch, hä? Hupe! Hupe! Hupe! Ich habe immer noch über 200 drauf, du Asi. Pass doch auf! Der Renault-Heini reißt das Steuer rum und verzieht sich wieder auf seine Mittelbahn. Er schaut zu mir rüber, lädierte Visage, D-Mensch, hebt die Hand und entschuldigt sich für seinen Schlenker, und ich Idiot ringe mir doch tatsächlich ein nachsichtiges Lächeln ab. Was ist denn jetzt los?

24
    Sechs Stunden später stehe ich am Gepäckausgabeband des Moskauer Flughafens Domodedowo. Ankunft planmäßig. Obwohl vor dem Start die Tragflächen enteist werden mussten und

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