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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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immer bis zu hundert Prozent überziehen. Wir Unternehmensberater arbeiten in der Regel nicht auf Erfolgsbasis. Das wäre so gut wie Russisches Roulette spielen, bloß mit schlechteren Überlebenschancen. Unsere Kunden lassen das anstandslos mit sich machen.
    Meine Operation Dolchstoß gegenüber L & W ist riskant,aber nicht waghalsig. So was ist in unserer Branche gang und gäbe.
    Es ist blöd, dass meine Probleme mit L & W ausgerechnet jetzt auftreten und sich mit diesem Auftrag hier zeitlich überlappen. Ein eigenartiger Zufall. Manchmal ist das Leben eben so.
    Aber eine solche Gelegenheit bekommt man nicht alle Tage. Die Waffenlobby gehört zu den lukrativsten Marktsegmenten und somit zu den attraktivsten Kunden überhaupt. Damit ist der Zeitpunkt gekommen, eine eigene Firma zu gründen und die Ernte einzufahren. Dann werde ich vom Gesamthonorar nicht bloß ein Zehntel sehen, wie bisher, weil der Rest in die Taschen der Geschäftsleitung geht. Dann geht alles in meine Tasche. Als Eigentümer eines Beratungsunternehmens kann man ausgesprochen wohlhabend werden. Die Brutto-Verdienstspanne in der Beraterbranche liegt bei bis zu achthundert Prozent. Geld ohne Ende. Und in einem Großunternehmen wie Lutz & Wendelen die Karriereleiter bis zum gleichberechtigten Partner zu erklimmen ist so gut wie aussichtslos.
    Ich entere den fensterlosen Raum, der mir für meinen Aufenthalt als Büro dient. Der Bodenbelag besteht aus sich wölbenden Veloursfliesen, die Fugen sind rissig, die Heizung funktioniert nicht richtig. Ich werde bereits von einem nervösen Angestellten erwartet, den ich auf Herz und Nieren prüfen werde. Er ist ein farbloser Mann, bei dem alle Züge eine Tendenz nach unten aufweisen, Augen, Nase, Mundwinkel. Typ: dichter Bartwuchs, auch unmittelbar nach der Rasur unrasiert. Er sitzt auf dem schäbigen Gästestuhl, trägt eine dunkelblaue Jacke mit Chinesenkragen, dazu eine Bundfaltenhose. Kleidungsstücke, die er sicher nicht erst gestern erworben hat.
    Hallo Wiegehts? Freutmichsehr. Peng. Vorname: Mister.
    Normalerweise mache ich, meiner Position entsprechend,schon längst keine Interviews mehr. Aber das hier ist eine Sondersituation, und ich möchte auch in der Basisarbeit mitmischen.
    Der arme Kerl, Ivan Soundso, über dessen Schicksal als Vorarbeiter ich gleich entscheiden werde, versucht, seine Nervosität zu überspielen. Mein Schatten eilt mir voraus. Er hat diese immer nassen Lippen, egal, wie oft man sie abtupft. Wenn ich mit ihm fertig bin, werden auch seine Augen nass sein, schätze ich. Die Arbeitsmarktlage hier in Novosibirsk ist, gelinde gesagt, nicht gerade rosig. Hier möchte man nicht auf der Straße sitzen. Hier blüht die Korruption, hier klickt es in der Leitung immer noch ostblockmäßig, wenn man das Telefon abhebt.
    Laut Stadtführer, den ich mir am Airport gekauft habe, ist Novosibirsk die größte Stadt Sibiriens und die drittgrößte Russlands. 1,4 Millionen Einwohner. Wie viele Millionenstädte es weltweit doch gibt, die für mich weitgehend unbeschriebene Blätter sind. Eine Schande. Aber nur, wenn man geografische Bildung für relevant hält. Und das tue ich nicht. Kommt mir genauso sinnlos vor wie Fahnenkunde.
    Ivan lautet also der Name des Mannes mir gegenüber. Es gibt Völker, die haben pro Geschlecht nur drei Vornamen zur Auswahl, habe ich den Eindruck. Olga, Irina, Natascha. Wladimir, Alexej und eben – Ivan. Schmales Spektrum.
    Ich schaue in Ivan Rebroffs Personalakte. Mitte 40, Diplom-Ingenieur, Spezialist für Elektrotechnik, Frau, drei Kinder. Na ja, selbst schuld, wenn man sich Verantwortung aufhalst. Ich starte meine übliche Fragerunde, nachdem ich ihm einen Kaffee angeboten habe, den er ausgeschlagen hat. Das Gespräch führen wir auf Englisch. Obwohl er gut deutsch kann. Die sprechen hier alle ganz gut. Deutsch ist das Englisch des Ostens.
    Mit der Genauigkeit meiner So-kundschaftet-man-Leute-aus-Verhörtechnik lasse ich mir von ihm seine Arbeitsabläufeschildern und stelle Fragen zu Logistik und firmeninternen Strukturen. Um was genau, also ganz genau, es in diesem Werk im herstellungstechnischen Sinne geht, weiß ich nicht. Muss ich auch nicht. Konkret lautet mein Auftrag, diese Fertigungseinheit, deren Auftraggeber Rüstungsunternehmen aus aller Welt sind, wirtschaftlich wieder auf Vordermann zu bringen.
    Ivan spürt während des Interviews instinktiv, dass ich ihn nach Strich und Faden aushorche. Mehrfach lässt er sich bei der Beantwortung bestimmter Fragen

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