Paranormal - Fuenf Romane mit Patricia Vanhelsing
offenbar erst später gesetzten Grabsteins stand.
Die Züge des Mannes erkannte ich sofort.
"Der Wirt des SINKING SHIP ist der Vater dieses toten Mädchens", erklärte ich.
Tom trat auf mich zu. Er sah mich prüfend an, fasste mich bei den Schultern.
"Das ist unmöglich."
Ich sah Tom an. Unsere Blicke verschmolzen für einen Augenblick miteinander. "Tom", flüsterte ich. "Hier ist seit Jahrhunderten niemand mehr gestorben - und es würde mich interessieren, ob jemand geboren wurde!"
"Kinder habe ich hier noch nicht gesehen..."
"Passt das nicht ins Bild?"
"Worauf willst du hinaus, Patti? Auf ein Dorf von Unsterblichen?"
"Sie sehen so unsagbar alt aus, Tom. Alle, denen wir hier bislang begegnet sind..." Ich atmete tief durch, nahm seine Hand und lächelte matt. "Ich weiß, dass das alles völlig absurd klingt..."
"Vielleicht finden wir in der Kirche einen Hinweis..."
Ich nickte.
Wir wandten uns der zweiflügeligen Kirchentür aus dunklem Holz zu. Tom griff nach dem völlig verrosteten gusseisernen Türknauf. Die Tür ließ sich ohne Schwierigkeiten öffnen. Das Holz war morsch.
Dahinter kam eine grob verfugte Mauer aus dunkelgrauem Stein zum Vorschein. Diese Kirche war offenbar seit langer Zeit nicht mehr betreten worden...
Fast so, als hätte sich dieser Ort seit langem vom christlichen Glauben abgewandt...
*
Das Geräusch galoppierender Pferde ließ uns herumfahren.
Gespannt blickten wir in jene Richtung, aus der es gekommen war. Einige Augenblicke vergingen, dann tauchte zwischen den Häusern eine schwarze, vierspännige Kutsche auf. Die Holzräder ächzten über das Kopfsteinpflaster. Auf dem Bock saß ein totenbleicher Mann. Das Gesicht war hager und faltig. Die Haut wirkte wie Pergament, die Augen glanzlos und starr. Das Kinn war sehr spitz. Der Mann trug einen doppelreihigen dunklen Mantel, dessen Kragen hochgestellt war. Dazu einen hohen Zylinder, der an den Aufzug eines Totengräbers erinnerte.
Mit der Linken hielt der bleiche Kutscher die Zügel seiner vier ungewöhnlich großen Pferde, gegen die selbst ein belgisches Kaltblut zierlich gewirkt hätte.
Es waren Rappen, deren pechschwarze Färbung nur an einer Stelle am Kopf durch eine Blässe unterbrochen wurde, die die Form gekreuzter Knochen aufwies.
Der Kutscher ließ die Pferde wild nach vorn preschen.
Das Knallen der Peitsche ging in dem Getöse unter, das durch die ungeölten Holzräder der Kutsche verursacht wurde.
Das Gefährt raste direkt auf den Friedhof zu, dann machte der Kutscher der Höllenfahrt ein abruptes Ende. Er riss an den Zügeln der Rappen und betätigte gleichzeitig die Bremse. Ein ohrenbetäubendes Quietschgeräusch mischte sich mit dem markerschütternden Wiehern der Pferde. Binnen eines Augenblicks stand die düstere Kutsche dann still. Die gewaltigen schwarzen Pferde mit der charakteristischen knochenförmigen Blässe auf der Stirn wirkten vollkommen ruhig. Sie dampften in der Februarkälte.
Tom und ich standen dicht beieinander. Ich fühlte die angenehme Wärme seiner Hand, die sich um die meine geschlossen hatte.
"Hier scheint es wirklich von Gespenstern der Vergangenheit nur so zu wimmeln", meinte Tom. "Sieht fast so aus, als wollte der Kerl zu uns!"
Der Kutscher sprang von seinem Bock. Seine kraftvollen Bewegungen passten nicht zu den Spuren des Alters, die sich überdeutlich in seinem Gesicht manifestierten. Aber das galt ja auch für andere Bewohner von Darnby-on-Sea.
Der Mann mit dem dunklen Zylinder kam auf uns zu. Sein stechender Blick fixierte uns auf unangenehme Weise.
In einer Entfernung von wenigen Metern blieb er stehen.
"Miss Vanhelsing? Mr. Hamilton?"
"Sie kennen uns?", fragte ich.
Sein Gesicht blieb unbewegt. Nur seine Augen verrieten innere Unruhe.
Meine Frage ließ er unbeantwortet.
Statt dessen erklärte er: "Ich bin im Auftrag meiner Herrschaft Lord Darnby hier... Er möchte, dass Sie ihn auf Darnby Castle besuchen..."
"Und aus welchem Grund?"
"Das wird er Ihnen persönlich sagen, Miss Vanhelsing... Aber ich glaube kaum, dass Sie ernsthaft erwägen, diese Einladung auszuschlagen..." Der Kutscher näherte sich einige Schritte, dann deutete er auf das Mauerwerk, das hinter der Kirchentür zum Vorschein kam. "Ich nehme an, dass Sie viele Fragen haben... Wollen Sie nicht wenigstens auf ein paar davon auch Antworten?"
Ich atmete tief durch.
Dann wechselte ich einen Blick mit Tom.
"Sagtest du nicht, dass dort oben auf diesem Schloss der Schlüssel zu all diesen Rätseln
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