Paranormal - Fuenf Romane mit Patricia Vanhelsing
breitete die Arme aus.
Er schrie etwas in die Nacht hinein. Worte, die der stete Seewind verschluckte.
"Wer ist das?", fragte ich.
"Hören Sie", begann Carter jetzt, "entweder Sie gehen fort von hier und vergessen alles, was Sie erlebt oder gehört haben. Denn wenn Sie davon berichten, wird es Ihnen ohnehin niemand glauben... Es wird Sie höchstens in die geschlossene Abteilung der Psychiatrie bringen!"
"Und was ist die andere Möglichkeit?", hakte ich nach.
Carter antwortete nicht sofort.
Er wechselte zunächst einen kurzen Blick mit Joseph, so als bräuchte er für das, was er dann zu sagen hatte, so etwas wie Rückendeckung.
"Oder Sie akzeptieren einfach, dass dies ein Ort ist, an dem ungewöhnliche Dinge geschehen, Miss Vanhelsing!"
"Uns interessiert vor allem, wie aus Paul Trenton ein Skelett wurde", unterbrach Tom nüchtern diesen Dialog.
"Sie sind ein Narr!", zischte Carter zwischen seinen blutleeren Lippen hervor. Das Mondlicht fiel in Carters Gesicht und ließ es noch bleicher erscheinen, als es ohnehin schon war. Er scheint Jahre älter zu sein, als am gestrigen Abend , ging es mir durch den Kopf.
"Was werden Sie mit der Leiche im Schankraum tun?", fragte Tom.
"Ich?", erwiderte Carter. "Gar nichts... Sie wird bereits zerfallen sein, wenn wir zurückkehren." Und dann sprach er mit gedämpftem Tonfall weiter. "Versuchen Sie nicht, die Geheimnisse zu lüften, die auf diesem Ort lasten. Es würde Ihnen kein Glück bringen!"
Hatte er das zuvor auch schon Paul Trenton gesagt?, fragte ich mich. Tom legte den Arm um meine Schulter, und ich war dankbar dafür, die Wärme seines Körpers in dieser eiskalten Nacht zu spüren.
"Sie sollten jetzt mit uns ins Haus gehen", erklärte Carter.
"Und was, wenn wir es nicht tun?", erwiderte ich.
Carter zuckte die Achseln.
"SIE könnten zurückkehren."
"Wer sind SIE?"
"Die Gespenster aus dem Reich der Toten, Miss Vanhelsing. Schatten der Vergangenheit, die längst zu Staub zerfallen sein müssten, anstatt uns mit ihrem Hass zu verfolgen..."
Wir folgten Carter und Joseph in den Schankraum.
Ich erschrak, als ich den Toten sah - oder besser gesagt: das, was von ihm übriggeblieben war. Nur die Umrisse dessen, was da auf den Brettern lag, erinnerte noch an einen Menschen. Es war eine dunkle, moderige Masse, die an Humus erinnerte. Hier und da waren halbverweste Stofffetzen zu sehen. Überreste der Kleidung.
Der Vorgang schien noch nicht abgeschlossen zu sein.
Langsam lösten sich Teile dieser humusartigen Substanz völlig auf.
Sie verschwanden einfach.
"In einer Viertelstunde wird nichts mehr an unseren guten Freund erinnern... Das ewige Vergessen wird sich über seine verdammte Seele breiten." Ein schmerzerfüllter Ausdruck stand im Gesicht des Wirtes. Ein Ausdruck unendlich großer seelischer Qual.
*
"Oh, Tom", murmelte, als wir wieder in unserem Zimmer waren.
Er nahm mich in die Arme, küsste mich und hielt mich dann einen Augenblick lang fest. "Was ist das nur für ein Alptraum, in den wir hier geraten sind, Tom... Diese Legende von dem gestrandeten Armada-Schiff muss mehr Wahrheit enthalten, als Tante Lizzy zunächst vermutete... Die Einwohner von Darnby haben die Überlebenden damals erschlagen, Tom. Zumindest der Legende nach..."
"Und jetzt suchen sie diesen Ort mit ihrer Rache heim..."
"Es wäre nicht der erste Fall dieser Art!"
Ich legte den Kopf an seine Schulter.
Eine Weile sagte keiner von uns ein Wort. Wir standen einfach da und ich war froh, in dieser Nacht nicht allein zu sein.
"Ich war 1588 an Bord einer Galeone", sagte Tom dann irgendwann. "Ein unbedeutender Schiffsjunge war ich in jenem Leben - aber immerhin habe ich diese Höllenfahrt überlebt, auch wenn mir das nicht viel nützte, den zwei Jahre nach der Rückkehr starb ich an der Schwindsucht... Das gesamte Unternehmen stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Schon bald nach dem Auslaufen aus dem Hafen von Lissabon, das damals spanisch war, gerieten wir in einen Sturm, so dass die Flotte in La Coruna erst einmal zur Reparatur vor Anker gehen musste. Im Ärmelkanal begann dann das Verhängnis. Die größte Flotte der damaligen Welt wurde von den kleinen, wendigen englischen Seglern besiegt. Die Geschütze unserer großen Galeonen war so hoch angebracht, dass sie glatt über die Engländer hinwegfeuerten, wenn diese zu Nahe herangekommen waren. Die Reste unserer Flotte sammelten sich vor Calais, wo die Engländer brennende Wracks in unsere Reihen hineintreiben
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