Parasiten
wissen, wo sie sich befand. Hotel. Hamburg. Das Telefon
schrillte weiter. Schlaftrunken hob sie ab. Sie hörte Lärm, laute Musik und
eine ihr unbekannte Männerstimme, die regelrecht schrie, um den Lärm zu
übertönen: »Hey, hier ist das ›Crazy Horst‹! Wir haben in unserer Bude einen
jungen Mann, der dreht voll ab! Dani oder so ähnlich. Er hat uns Ihre Nummer
gegeben, ich hoffe, das stimmt, denn er kann kaum noch lallen! Entweder Sie
holen ihn jetzt sofort ab, oder die Bullen erledigen das!«
Schlagartig war Sofia wach und saß kerzengerade im Bett: »Geben Sie
mir die Adresse, ich bin in ein paar Minuten da!«
Hastig sprang sie aus dem Bett, wusste nicht, ob sie eher verärgert
oder besorgt sein sollte, und entschied sich, während sie ihre Klamotten
überstreifte, definitiv für verärgert. Es war zwar schon länger her, dass
Danylo solche Aktionen gebracht hatte, aber noch nicht lange genug. Das letzte
Mal war vor zwei Jahren in Kopenhagen gewesen, als er volltrunken vor der
Skulptur der »Kleinen Meerjungfrau« in den Hafen urinierte und laut auf
Englisch pöbelte, er pisse auf Hans Christian Andersen, die »verlogene, alte
Schwucke«. Daraufhin war er von drei dänischen Patrioten verprügelt worden, und
sie hatte ihn mit gebrochenem Kiefer ins Krankenhaus gebracht. Glücklicherweise
war seinen Händen nichts passiert.
Vor ihrem Hotel befand sich ein Taxistand. Wie versprochen war sie
in wenigen Minuten auf dem Kiez in der für ihr Empfinden wenig Vertrauen
erweckenden Bar mit dem noch weniger originellen Namen. Eindeutig eine
Schwulenbar, Sofia wusste, wo Danylo abstürzte, wenn er denn abstürzte. Keiner
achtete auf sie. Sofia war erleichtert, dass es sich um eine frauenfreundliche
Schwulenkneipe zu handeln schien und nicht etwa um ein Etablissement für die
Hardcore-Szene. Der Laden war gut besucht, die Stimmung aufgeheizt. Als sie am
Tresen vorbeikam, warf ihr der Theker einen fragenden Blick zu, den sie
erwiderte. Er winkte sie durch in den hinteren Teil der Kneipe, wo Danylo mit
dem Kopf auf der Tischplatte in einer Nische halb saß, halb lag. Sie setzte
sich zu ihm und rüttelte ihn. Danylo hob in Zeitlupe den Kopf an. Er sah
furchtbar aus. Die Augen vom Weinen verquollen, die Pupillen erweitert. Ganz
offensichtlich hatte er sich mit einer Mischung aus Alkohol und Drogen
abgeschossen.
»Kannst du gehen?«, fragte Sofia kühl.
Er fiel ihr theatralisch in die Arme und begann zu schluchzen.
»Sofia, Sofi, meine liebe Sofi, geh weg, lass mich allein!«
»Das kann ich tun. Dann holen dich gleich die Bullen ab und sperren
dich in eine Ausnüchterungszelle. Willst du das?«
»Nein! … Ja! Ist doch egal, ist doch alles egal!« Danylo ließ den
Kopf wieder auf die Tischplatte knallen. Morgen würde er eine Beule haben.
Sofia zog ihn an den Schultern wieder hoch. »Jetzt reiß dich mal
zusammen! Wir gehen jetzt raus, ich rufe uns ein Taxi und bringe dich nach
Hause.«
Danylo nickte schwerfällig, wobei sein Kopf wieder auf die
Tischplatte schlug.
Der Theker kam an ihren Tisch: »Kommen Sie klar, oder brauchen Sie
Hilfe?«
Sofia bat ihn um zwei Minuten, der Theker sah ostentativ auf die Uhr
und ging zurück zum Tresen. Sofia hievte Danylo mühsam hoch, er war knapp zwei
Kopf größer als sie, wenn auch sehr hager. Als sie ihn durch die Gäste zum
Ausgang bugsierte, hing er an ihr wie ein Ertrinkender: »Nicht nach Hause,
bitte nicht nach Hause!«
Sofia schwieg. Sie hatte Glück, ein freies Taxi bog gerade um die
Ecke. Sie hielt es auf, schubste Danylo hinein und gab die Adresse seiner
Wohnung im Stadtteil Winterhude an. Sofort randalierte Danylo: »Nicht nach
Hause, auf keinen Fall!«
Der Taxifahrer, der offensichtlich schon eine harte Nacht hinter
sich hatte, griff nach hinten und öffnete die Tür. Er warf Sofia einen müden,
aber deutlich auffordernden Blick zu. Sofia schloss die Tür wieder, beruhigte
Danylo und nannte die Adresse ihres Hotels.
Der Portier war wenig erfreut, als er sie mit einem volltrunkenen
Mann im Schlepptau ankommen sah, doch er schwieg. Schweißgebadet zerrte sie
Danylo die Treppe hoch zu ihrem Zimmer in der zweiten Etage, lud ihn auf dem
Bett ab und zog ihre Jacke aus. Danylo stöhnte laut vor sich hin. Plötzlich
sprang er auf und hielt sich panisch die Hand vor den Mund. Sofia wies auf die
Badezimmertür. Eine ganze Viertelstunde lang musste sie mit anhören, wie Danylo
sich wieder und wieder übergab. Es ekelte sie.
Als er vom Bad zurückkam, sah er noch elender
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