Parasiten
Darauf achtet sie immer, auch beim Putzen.
In sieben Minuten ist sie mit dem Bus die paar Stationen gefahren,
und nach weiteren zehn Minuten Fußweg betritt sie die Villa. Schnurstracks geht
sie durch den Flur und will zur Küche, ihren Ring neben dem Waschbecken
aufklauben und noch einen raschen zufriedenen Blick auf den Glanz der frisch
eingeölten Arbeitsplatte werfen. Doch dann sieht sie verdutzt die Tür zu Benedikts
Büro offenstehen. Dabei legt Benedikt allergrößten Wert auf geschlossene Türen.
Er hasst es, wenn es zieht. Benedikt ist ein wenig hypochondrisch.
Marianne geht zur Tür und will sie schließen, als ihr Blick ins Büro
fällt. Sie sieht Benedikts Füße in den für ihn typischen handgenähten
Budapestern. Die Füße stehen nicht, sondern sie liegen auf dem Boden. Die
Fußspitzen zeigen nach oben. Die Socken passen wie immer farblich zu den Hosen.
Erschrocken öffnet Marianne die Tür ganz. Dann schreit sie laut auf.
Benedikt, ihr Arbeitgeber, in den sie in der Tat ein wenig verschossen
ist, liegt auf dem Perserteppich. Tot. Sein Hemd ist geöffnet, der Brustkorb
nackt und von kleinen Schnitten übersät. Auf und in seiner Haut krabbeln
ekelhaft viele Insekten. Aus dem weit offenen Mund windet sich zappelnd ein
Wurm heraus. Marianne wird schwindlig, sie kämpft gegen Übelkeit und Ohnmacht
an. Ohne nochmals einen Blick auf die Leiche zu werfen, rennt sie in den Flur.
Sie will nicht das Telefon in Benedikts Büro benutzen, dazu müsste sie direkt
an der Leiche vorbei. Im Wohnzimmer ist noch ein Anschluss. Von da ruft sie die
Polizei an.
Zuerst kommt die Schutzpolizei und sperrt das Gelände ab.
Marianne darf noch nicht nach Hause. Sie spricht ihrem Mann aufs Band. Eine
dreiviertel Stunde später trifft ein Hauptkommissar Herbert Meyerhoff von der
Mordbereitschaft mit einem Kollegen ein und sieht sich alles an. Dann fragt er
Marianne, wie und wann genau sie ihren Chef gefunden hat. Und was sie alles
angefasst hat. Marianne wird sehr viel gefragt. Davon wird ihr wieder schwindlig,
ihr ist nicht gut. Kommissar Meyerhoff erlaubt ihr schließlich, nach Hause zu
gehen. Er lässt sie sogar mit einem Polizeiauto heimbringen. Als Marianne
endlich durch den Flur hinausgeht, am Büro von Dr. Benedikt vorbei, hört sie
den Kommissar telefonieren. Er sagt: »Hallo, Herr Wieckenberg, hier Meyerhoff.
Ich bin im Haus von Dr. Benedikt … Ja, genau … Leider … eine total kranke
Schweinerei …«
Marianne gibt ihm insgeheim recht. Sie ist froh, wenn sie endlich zu
Hause bei ihrem Mann ist. Als sie im Streifenwagen sitzt, fällt ihr ein, dass
ihr Ehering immer noch in Benedikts Küche neben dem Waschbecken liegt.
LARGHETTO AFFETTUOSO
Klar weiß ich noch, wie es angefangen
hat. Es ist ein schleichender Prozess. Mit den Milben hat es angefangen. Zuerst
waren es nur Milben. Milben sind harmlos. Sie sind in jeder Matratze. Millionen
davon, Abermillionen. Haben Sie mal Makroaufnahmen gesehen? Eklige Viecher. Sie
ernähren sich von unseren Hautschuppen. Aber das macht uns nichts. Die meisten
Menschen wissen das nicht mal und schlafen jahrzehntelang auf ihrer verseuchten
Matratze. So hat es angefangen. Mit Milben in alten Matratzen. Sie kommen
irgendwann aus der Matratze heraus, wenn sie Hunger haben, und fressen die
Hautschuppen direkt von deinem Körper runter, statt zu warten, bis die Schuppen
in die Matratze rieseln. Das ist nicht schlimm, kitzelt nur ein bisschen. Falls
man es überhaupt bemerkt. Man kann die Milben wegduschen. Vermute ich
zumindest. Wenn man duscht. Natürlich will man regelmäßig duschen, aber
manchmal kommt man nicht dazu. Dann vermehren sich die Milben und fressen noch
mehr Schuppen, bis es anfängt zu jucken. Ist noch nicht schlimm, weil die
sitzen ja auf der Haut, und man kann sie wegkratzen. Wie gesagt, die Milben sind
recht harmlos. Aber sie sind ja erst der Anfang.
Weil, wenn man sich die Haut ein bisschen
aufgekratzt hat wegen der widerlichen Milben, dann riechen die anderen das. Sie
wittern das Blut. Die Feuchtigkeit. Sie kommen herbeigekrochen. Und finden die
Löcher und Ritzen, sie finden diese Einfallstore. In der Haut. Die Haut ist
eine Schutzschicht, die äußere Begrenzung des menschlichen Körpers. Eine
Grenze, verstehen Sie? Die sollte keiner überschreiten! Was unter der Haut
liegt, ist Privatsache. Die Haut hält alles zusammen. Wenn sie verletzt wird,
gibt es keinen Schutz mehr, dann dringt die Welt mit Gewalt in den Menschen
hinein.
Wussten Sie, dass die Haut
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