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Paris im 20. Jahrhundert

Paris im 20. Jahrhundert

Titel: Paris im 20. Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Du.
    Quinsonnas weihte Michel in alle von ihm erworbenen Erfahrungen ein, und dieser dachte in seinen schlaflosen Nächten an die Enttäuschungen dieser Welt; in der Früh kam er von seinen nächtlichen Gedanken aufgewühlt ins Büro, und er redete auf den Musiker ein, dem es nicht gelingen wollte, ihn zum Schweigen zu bringen.
    Bald schon war das Große Hauptbuch nicht mehr auf dem letzten Stand.
    »Deinetwegen werden wir noch einen groben Fehler begehen«, wiederholte Quinsonnas unaufhörlich, »und dann wird man uns vor die Tür setzen!«
    »Aber ich muß doch sprechen«, antwortete Michel.
    »Nun gut«, sagte Quinsonnas eines Tages zu ihm, »noch heute abend kommst du zum Essen zu mir, zusammen mit meinem Freund Jacques Aubanet.«
    »Zu dir! Aber die Beurlaubung?«
    »Die habe ich. Wo waren wir stehengeblieben?«
    »Liquidationskasse«, fuhr Michel fort.
    »Liquidationskasse«, wiederholte Quinsonnas.
Siebtes Kapitel
Drei für die Gesellschaft nutzlose Mäuler
    Nach Büroschluss machten sich die beiden Freunde auf den Weg zu Quinsonnas’ Wohnung in der Rue Grange-aux-Belles; Arm in Arm marschierten sie los; Michel, glücklich über seine Freiheit, schritt einher wie ein siegreicher Eroberer.
    Die Rue Grange-aux-Belles lag recht weit vom Bankhaus entfernt; aber es war zu dieser Zeit schwierig, in einer für ihre fünf Millionen Einwohner zu kleinen Hauptstadt eine Unterkunft zu finden; man hatte so viele Plätze vergrößert, Chausseen angelegt und Boulevards gebaut, daß es für Privatquartiere allmählich an Grundstücken mangelte. Genau darauf bezog sich ein Sprichwort aus jener Zeit: In Paris gibt es keine Häuser mehr, es gibt nur noch Straßen!
    Manche Viertel boten den Bürgern der Hauptstadt keine einzige Wohnmöglichkeit, unter anderen die Ile de la Cité, wo nur noch das Handelsgericht, der Justizpalast, die Polizeipräfektur, die Kathedrale und das Leichenschauhaus emporragten, das heißt also alles, was notwendig war, um bankrott erklärt, verurteilt, eingesperrt, begraben oder sogar wieder aus dem Wasser gefischt zu werden. Die öffentlichen Gebäude hatten die Häuser verjagt.
    Dies erklärte die übertrieben hohen Mieten; die Allgemeine Kaiserliche Immobiliengesellschaft besaß, gemeinsam mit der Bodenkreditbank, nahezu ganz Paris und schüttete großartige Dividenden aus. Diese Gesellschaft, die sich zwei geschickten Finanzmännern des 19. Jahrhunderts verdankte, den Brüdern Péreire, war gleichfalls Eigentümerin der wichtigsten Städte Frankreichs, nämlich von Lyon, Marseille, Bordeaux, Nantes, Strasbourg, Lille, nachdem sie diese Schritt für Schritt neu erbaut hatte. Ihre Aktien, deren Wert sich fünfmal verdoppelt hatte, erzielten immer noch einen Kurs von 4450,– Franc auf dem freien Börsenmarkt.
    Die weniger begüterten Leute, die nicht allzuweit vom Geschäftszentrum entfernt leben wollten, mußten demnach hoch oben wohnen; was sie an Nähe gewannen, verloren sie durch die Höhe, folglich war alles eine Frage der Anstrengung, nicht der Zeit.
    Quinsonnas wohnte im zwölften Stock eines alten Gebäudes mit Treppe, die eine Fahrkabine aufs vorteilhafteste ersetzt hätte. Aber der Musiker fühlte sich deshalb um nichts weniger wohl, sobald er zu Hause war.
    Kaum waren sie in der Rue Grange-aux-Belles angekommen, stürmte er die Wendeltreppe hoch.
    »Keine Angst, steig nur immer höher hinauf!« sagte er zu Michel, der ihm in seinem Höhenflug folgte. »Irgendwann kommen wir an! Nichts ist ewig auf dieser Welt, nicht einmal Treppen. Da sind wir«, sagte er und öffnete nach diesem atemberaubenden Aufstieg eigenhändig die Tür.
    Er schob den jungen Mann in »seine Gemächer«, ein Zimmer von sechzehn Quadratmetern.
    »Kein Vorraum«, sagte er zu ihm, »so etwas brauchen nur Leute, die andere warten lassen, und da sich die Meute der Bittsteller niemals in meinen zwölften Stock stürzen wird, aus dem rein physikalischen Grund, daß man sich nicht von unten nach oben stürzt, verzichte ich auf diesen Überfluß; auch den Salon habe ich abgeschafft, denn er hätte das Fehlen eines Speisezimmers allzusehr betont.«
    »Aber du scheinst mir hier bestens untergebracht zu sein«, sagte Michel.
    »Zumindest in so guter Luft, wie es das Ammoniak des Pariser Drecks erlaubt.«
    »Auf den ersten Blick wirkt es klein«, sagte Michel.
    »Auch auf den zweiten, aber es genügt.«
    »Außerdem ist es geschickt aufgeteilt«, antwortete Michel lachend.
    »Nun, Mütterchen«, sagte Quinsonnas zu einer alten

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