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Paris im 20. Jahrhundert

Paris im 20. Jahrhundert

Titel: Paris im 20. Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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als die Kanonen eine Reichweite von achttausend Metern erreicht hatten und eine 36er Kugel aus hundert Meter Entfernung vierunddreißig Pferde oder achtundsechzig Männer durchbohren konnte, wurde der Mut des einzelnen zu einer Luxusangelegenheit.«
    »Das stimmt«, antwortete Michel, »die Maschinen haben den Heldenmut getötet, und die Soldaten sind zu Maschinisten geworden.«
    Während dieser altertumskundlichen Diskussion über die Kriege von einst setzten die vier Besucher ihren Spaziergang durch die Wunder des Handelsbeckens fort. Ringsumher ragte eine richtige Kneipenstadt empor, in der die an Land gegangenen Seeleute sich als Krösusse aufspielten und sich in den Kaschemmen vollaufen ließen. Man hörte ihre heiseren Gesänge und seemännischen Flüche. Die kecken Burschen fühlten sich in diesem Umschlagshafen mitten in der Ebene von Grenelle zu Hause, und niemand konnte ihnen das Recht absprechen, lauthals zu grölen. Sie bildeten übrigens ein Völkchen für sich, mischten sich nicht unter die Bewohner der anderen Vorstädte und waren nicht gerade umgänglich. Man hätte meinen können, in Le Havre zu sein, nur durch die Breite der Seine von Paris getrennt.
    Die Handelsbecken waren untereinander durch Drehbrücken verbunden, die zu bestimmter Stunde mittels Preßluftmaschinen der
Katakombengesellschaft
in Bewegung gesetzt wurden. Das Wasser verschwand unter den Rümpfen der Schiffe; die meisten wurden mit Hilfe von Kohlensäuredampf betrieben, kein Dreimaster, keine Brigg, kein Schoner, kein Logger, kein Fischkutter, der nicht mit einer Schraube ausgestattet gewesen wäre; der Wind hatte ausgedient, er war nicht mehr in Mode, man wollte ihn nicht mehr, und der alte, verschmähte Äolos versteckte sich beschämt in seinem Schlauch.
    Es ist leicht zu verstehen, wie stark der Durchstich der Landengen von Suez und Panama den Handel über die Hochseeschiffahrt ankurbeln mußte; die von jedem Monopol und allen Fesseln ministerieller Unterhändler befreiten Seegeschäfte nahmen einen ungeheuren Aufschwung, und die Schiffe vermehrten sich in allen erdenklichen Gestalten. Ein herrliches Schauspiel waren unbestreitbar jene Ozeandampfer aller Größen und Nationalitäten, deren Flaggen in tausenderlei Farben durch die Lüfte flatterten; riesige Warfs, weitläufige Lagerhäuser beherbergten die Waren, welche von wohldurchdachten Maschinen gelöscht wurden; die einen verpackten sie, die anderen wogen sie ab, diese etikettierte sie, jene beförderte sie an Bord; die von den Lokomotiven gezogenen Schiffe glitten die Granitmauern entlang; die Schur-und Baumwollballen, die Zucker-und Kaffeesäcke, die Teekisten, alle Güter aus den fünf Erdteilen waren zu gigantischen Haufen gestapelt; in der Luft lag jener Geruch sui generis, den man den Duft des Handels nennen kann; bunte Schilder gaben die auslaufbereiten Schiffe für jeden Punkt des Globus bekannt, und alle Idiome der Welt wurden im Hafen von Grenelle gesprochen, dem verkehrsreichsten des ganzen Universums.
    Von den Anhöhen Arcueils oder Meudons aus war der Anblick dieses Beckens tatsächlich bewunderungswürdig; das Auge verlor sich in dem Wald aus Masten, die mit Festtagsflaggen geschmückt waren; der Turm für die Gezeitenanzeige erhob sich an der Hafenöffnung, während sich weiter hinten ein elektrischer Leuchtturm, der nicht von großem Nutzen war, mit einer Höhe von fünfhundert Fuß in den Himmel bohrte. Er war das höchste Bauwerk der Welt, und seine Lichter strahlten vierzig Meilen weit; sie waren sogar in Rouen von den Türmen der Kathedrale aus zu sehen.
    Der ganze Komplex verdiente es, bewundert zu werden.
    »Es ist wahrhaftig schön«, sagte Onkel Huguenin.
    »Ein pulchres Schauspiel«, antwortete der Professor.
    »Wenn wir hier auch weder das Wasser noch den Wind des Meeres haben«, fuhr Monsieur Huguenin fort, »so gibt es doch wenigstens die Schiffe, die das Wasser trägt und der Wind vorantreibt!«
    Aber wo die Menge wirklich hineilte, wo es schier unmöglich wurde, das Gedränge zu durchbrechen, das war auf den Quais des gewaltigsten Beckens, das Mühe hatte, die riesige, gerade erst eingetroffene
Leviathan IV
aufzunehmen; die
Great Eastern
des vergangenen Jahrhunderts wäre nicht würdig gewesen, ihr Beiboot zu sein; sie kam aus New York, und die Amerikaner konnten sich rühmen, die Engländer geschlagen zu haben; sie hatte dreißig Masten und fünfzehn Schornsteine; ihre Maschine besaß die Stärke von dreißigtausend Pferden, zwanzigtausend

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