Paris im 20. Jahrhundert
Frankreichs zu werden; eine lange Reihe von Schleusenbecken, die man in den weitläufigen Ebenen von Grenelle und Issy angelegt hatte, konnte tausend Schiffe der stärksten Tonnage aufnehmen. Die Industrie schien mit dieser Herkulesarbeit die äußersten Grenzen des Möglichen erreicht zu haben.
Schon oft war in den vorangegangenen Jahrhunderten, unter Ludwig XIV. wie auch unter Louis Philippe, die Idee aufgetaucht, einen Kanal von Paris bis ans Meer zu graben. Im Jahre 1863 erhielt eine Gesellschaft die Erlaubnis, auf eigene Kosten die Möglichkeiten einer Trasse über Creil, Beauvais und Dieppe zu untersuchen; aber die Gefälle, die ausgeglichen werden mußten, machten zahlreiche Schleusen notwendig, wie auch beachtliche Wasserläufe, um diese zu speisen; die Oise und die Béthune, die einzig verfügbaren Flüsse auf dieser Linie, wurden bald für unzureichend erachtet, und die Gesellschaft stellte ihre Arbeiten ein.
Fünfundsechzig Jahre später griff der Staat die Idee wieder auf, und zwar nach einem bereits im letzten Jahrhundert vorgeschlagenen Prinzip, das wegen seiner Einfachheit und Logik damals abgelehnt worden war; es galt, die Seine als natürlichen Wasserweg zwischen Paris und dem Ozean zu nützen.
In weniger als fünfzehn Jahren grub ein Bauingenieur namens Montanet einen Kanal, der in der Ebene von Grenelle seinen Ausgang nahm und bis etwas unterhalb von Rouen führte; er war 140 Kilometer lang, 70 Meter breit und 20 Meter tief; dies ergab ein Bett mit einem Fassungsvermögen von rund 190000000 Kubikmetern; dieser Kanal mußte niemals befürchten auszutrocknen, denn die fünfzigtausend Liter Wasser, die ihm pro Sekunde von der Seine zuflossen, genügten bei weitem für seine Versorgung. Die im Unterlauf des Flusses vorgenommenen Arbeiten hatten die Fahrrinne auch für die größten Schiffe zugänglich gemacht. So bot sich der Schiffahrt zwischen Le Havre und Paris nicht die geringste Schwierigkeit.
Dazu gab es in Frankreich, nach einem Entwurf Dupeyrats, ein Netz von Eisenbahnlinien auf den Treidelwegen aller Kanäle. Leistungsfähige Lokomotiven rollten über die Schienen an diesen Kanälen entlang und schleppten mühelos Lastkähne und Transportschiffe.
Dieses System kam am Kanal von Rouen in großem Maßstab zur Anwendung, und so ist leicht zu verstehen, wie schnell Handelsfrachter und staatliche Schiffe bis nach Paris hinauffuhren.
Die Anlage des neuen Hafens war prachtvoll, und bald schon spazierten Onkel Huguenin und seine Gäste inmitten einer dichten Menschenmenge über die Quais aus Granit.
Es gab achtzehn Becken, von denen nur zwei für die Schiffe der Regierung reserviert waren, welche die französischen Fischereigebiete und Kolonien schützen sollten. Dort waren auch noch Exemplare der alten gepanzerten Fregatten aus dem 19. Jahrhundert zu sehen, die von den Altertumsforschern bestaunt wurden, obwohl sie nicht allzuviel von ihnen verstanden.
Diese Kriegsmaschinen hatten mit der Zeit unglaubliche, jedoch leicht erklärbare Ausmaße angenommen; denn fünfzig Jahre hindurch hatte zwischen Panzer und Kanonenkugel ein lächerlicher Kampf darum gewütet, ob der eine standhalten oder die andere ihn versenken würde. Die Wände aus geschmiedetem Stahlblech wurden so dick und die Kanonen so schwer, daß die Schiffe schließlich wegen ihres eigenen Gewichts untergingen, und dieses Ergebnis beendete die noble Rivalität gerade in dem Augenblick, als die Kanonenkugel drauf und dran war, den Panzer zu besiegen.
»So kämpfte man damals«, sagte Onkel Huguenin und zeigte auf eines jener eisernen Ungeheuer, das friedlich in die hinterste Ecke des Beckens verbannt war; »man sperrte sich in diese Kisten ein, und dann ging es darum, die anderen zu versenken oder selbst versenkt zu werden.«
»Aber der Mut des einzelnen spielte doch dabei keine große Rolle mehr«, sagte Michel.
»Der Mut war geriefelt wie die Geschützrohre«, sagte der Onkel und lachte, »die Maschinen kämpften gegeneinander, nicht die Menschen; deshalb kam es auch mehr und mehr dahin, daß man mit den lächerlich gewordenen Kriegen aufhörte. In jener Zeit, als Mann gegen Mann kämpfte, als man seinen Gegner mit eigenen Händen tötete, habe ich den Krieg noch verstanden …«
»Sie sind blutdürstig, Monsieur Huguenin«, sagte das junge Mädchen.
»Nein, mein liebes Kind, ich bin vernünftig, soweit hier von Vernunft überhaupt die Rede sein kann; der Krieg hatte damals seine Daseinsberechtigung; doch ihr werdet zugeben,
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