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Paris im 20. Jahrhundert

Paris im 20. Jahrhundert

Titel: Paris im 20. Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Jetzt aber sind sie alle beide Tat, und fortan gibt es keine Frauen mehr in Frankreich.«
    »Gut«, meinte Michel, »und was denkst du über die Ehe?«
    »Nichts Gutes.«
    »Aber was weiter?«
    »Für die Ehe der anderen hätte ich mehr übrig als für meine eigene.«
    »Du wirst also nicht heiraten.«
    »Nein, solange das berühmte Tribunal nicht eingerichtet ist, das Voltaire verlangte, um über das Vergehen der Untreue zu richten, sechs Männer und sechs Frauen, plus einem Hermaphroditen, der im Fall von Stimmengleichheit den Ausschlag zu geben hätte.«
    »Ach, hör doch auf mit deinen Scherzen.«
    »Ich scherze nicht; nur darin läge eine Gewähr! Erinnerst du dich, was vor zwei Monaten in dem Ehebruchprozeß geschah, den Monsieur de Coutances gegen seine Frau geführt hat?«
    »Nein!«
    »Nun, der Vorsitzende hatte Madame de Coutances gefragt, warum sie ihre Pflichten vergessen hätte: Ich habe ein schlechtes Gedächtnis, antwortete sie! Und sie wurde freigesprochen. Nun, ganz offen gesagt, diese Antwort verdiente einen Freispruch.«
    »Lassen wir doch Madame de Coutances«, antwortete Michel, »und kommen wir auf die Ehe zurück.«
    »Mein Sohn, ich will dir die absolute Wahrheit zu diesem Thema sagen: Solange man ledig ist, kann man immer heiraten. Wenn man verheiratet ist, kann man nicht wieder ledig werden. Deshalb liegt zwischen dem Stand des Ehemannes und dem Stand des Junggesellen ein schrecklich feiner Unterschied.«
    »Quinsonnas, was genau hast du gegen die Ehe vorzubringen?«
    »Was ich vorzubringen habe, ist schnell gesagt: In einer Zeit, in der die Familie sich aufzulösen droht, in der die Selbstsucht jedes Familienmitglied in eine andere Richtung treibt, in der das Bedürfnis, sich um jeden Preis zu bereichern, die Empfindungen des Herzens abtötet, erscheint mir die Ehe als eine heroische Nutzlosigkeit; früher, wenn man die alten Autoren liest, war das ganz anders; blätterst du die alten Wörterbücher durch, so wirst du zu deinem großen Erstaunen Wörter darin finden wie Penaten, Laren, häuslicher Herd, ein Heim, die Gefährtin meines Lebens usw.; aber diese Ausdrücke sind schon lange verschwunden, zusammen mit den Dingen, die sie bezeichneten. Sie werden nicht mehr verwendet; es scheint, daß einst die Gatten (noch ein Wort, das außer Gebrauch gekommen ist) ihr Leben aufs innigste miteinander verbanden; man erinnerte sich an die Worte Sanchos: Der Rat einer Frau ist nicht viel wert, aber man muß schon ein Narr sein, um nicht auf ihn zu hören! Und man hörte auf ihn. Und schau, wie anders es jetzt ist; der heutige Ehemann lebt weit von seiner Frau entfernt, in unserer Zeit hält er sich in seinem Zirkel auf, dort ißt er zu Mittag, arbeitet, ißt zu Abend, dort spielt und schläft er auch. Madame macht ihrerseits Geschäfte. Monsieur grüßt sie wie ein Fremder, wenn er sie zufällig auf der Straße trifft, von Zeit zu Zeit stattet er ihr einen Besuch ab, er taucht bei ihren Montagen oder bei ihren Mittwochempfängen auf; mitunter lädt Madame ihn zum Diner ein, seltener dazu, den ganzen Abend mit ihr zu verbringen; letztendlich begegnen sie einander so wenig, sehen sich so wenig, sprechen so wenig miteinander und duzen sich so wenig, daß man sich mit Recht fragt, wie es in dieser Welt noch Erben geben kann.«
    »Das stimmt beinahe«, sagte Michel.
    »Es stimmt voll und ganz, mein Sohn«, antwortete Quinsonnas; »wir haben die Entwicklung des vergangenen Jahrhunderts fortgesetzt; damals war man bemüht, so wenig Kinder wie möglich zu haben, denn die Mütter zeigten sich verstimmt, wenn sie erlebten, daß ihre Töchter allzu schnell schwanger wurden, und die jungen Ehemänner waren verzweifelt, eine solche Ungeschicklichkeit begangen zu haben. Deshalb ist heutzutage die Zahl der ehelichen Kinder sehr stark zurückgegangen zugunsten der unehelichen Kinder; diese bilden bereits eine beachtliche Mehrheit; bald werden sie in Frankreich die Herren sein, und dann werden sie das Gesetz aufheben, das verbietet, nach der Vaterschaft zu forschen.«
    »Das scheint mir auf der Hand zu liegen«, antwortete Michel.
    »Nun existiert aber das Übel, wenn es denn ein Übel ist«, fuhr Quinsonnas fort, »in allen Klassen der Gesellschaft; übrigens verurteilt ein alter Egoist wie ich diese Sachlage auch gar nicht, er zieht seinen Nutzen daraus; aber mir liegt viel daran, dir zu erklären, daß die Ehe kein trautes Heim mehr bedeutet und daß die Fackel der Hochzeit nicht mehr wie einst dazu dient, für

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