Partials 1 – Aufbruch
auf
Spinnenbeinen durch ihre Seele schlich, »es klingt zu perfekt. Mir scheint, du
sagst genau das, was ich hören will.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube dir
nicht.«
»Warum sollten wir etwas anderes wollen?«, fragte Samm. »Es ist der
wichtigste Instinkt überhaupt – das Überleben. Eine neue Generation aufbauen,
die ein Morgen kennt.«
»Aber du hattest nie eine Familie«, widersprach Kira. »Bei euch gibt
es keine Familien, ihr wart nie Jugendliche und wisst nicht einmal, wie es sich
anfühlt, jung zu sein. Wenn nun der Wille, etwas zu erschaffen und zu
hinterlassen, nur als überkommener Instinkt zufällig in irgendeinem uralten DNA -Strang fixiert ist?«
Auf einmal fiel Kira ein Hund ein. In ihrer Erinnerung war er ein
Riese, eine knurrende Masse aus Muskeln und Zähnen. Er hatte sie durch einen
Park oder Garten gehetzt, jedenfalls durch irgendeine grüne Landschaft voller
Gras und Blumen. Sie hatte große Angst gehabt, der Hund hatte sie fast erreicht,
doch auf einmal war ihr Vater ihr beigesprungen. Er war kein besonders starker
Mann gewesen, aber er hatte sich zwischen seine Tochter und den Hund geworfen.
Er war gebissen worden, ihrer Erinnerung nach sogar ziemlich übel. Er hatte es
getan, um sie zu retten. Das taten Väter eben.
»Was sagt die Tatsache, dass wir keine Eltern haben, deiner Ansicht
nach über uns aus?« Sie hob den Kopf und sah Samm an. »Ich meine nicht uns
allein, sondern … eine ganze Gesellschaft … oder besser zwei Gesellschaften,
die keine Eltern haben. Welche Auswirkungen hatte das deiner Ansicht nach auf
uns?«
Samm schwieg, erwiderte aber ihren Blick. In einem seiner Augen
schimmerte eine Träne. Zum ersten Mal sah sie ihn weinen. Die Wissenschaftlerin
in ihr wollte eine Probe nehmen und die Träne studieren, um herauszufinden, wie
und warum er weinte. Die junge Frau in ihr dachte an das Zukunftsgesetz und
fragte sich, ob ein Senator ein solches Gesetz überhaupt verabschieden konnte,
wenn er wusste, dass es auch die eigene Tochter traf.
Kira betrachtete den Bildschirm und sah nicht die Darstellung,
sondern ihre Erinnerungen an Manhattan. Den Angriff der Partials, Gabe, der tot
im Flur gelegen hatte, wo die Partials ihn niedergeschossen hatten. Warum haben
sie ihn erschossen, wenn sie auf einer Friedensmission waren?, fragte sie sich.
Sie runzelte die Stirn – wie sollte sie dieses Ereignis mit Samms Protesten und
Unschuldsbeteuerungen in Einklang bringen? Sie haben uns vorher nicht einmal
auf ihre Absichten angesprochen, dachte sie. Das passt nicht zusammen.
Sie zermarterte sich das Hirn nach weiteren Erinnerungen. Fand sich
irgendetwas, das die Ideen unterstützte, an deren Wahrheit sie so gern glauben
wollte? Was hatten die Partials direkt vor der Sprengung des Apartments gesagt?
Sie forschte in ihren Erinnerungen. Welche Gruppe ist das? Diese Worte hatte sie deutlich gehört oder glaubte sich genau daran zu
erinnern. Welche Gruppe in welchem Zusammenhang? Hatten sie mit jemand anderem
gerechnet? Vielleicht mit Banditen oder der Stimme ?
War es reines Glück gewesen, dass sie stattdessen auf Kira gestoßen waren, auf
den einzigen Menschen, der ihnen zuhörte?
Auf einmal öffneten sich die Türen mit einem Summen, und das
Dekontaminationsgebläse erwachte brüllend zum Leben. Mit einer Plastikspritze
voller Blut eilte Shaylon auf sie zu.
»Die Schwester sagt, das soll ich dir geben.« Er hob die Spritze.
»Du wüsstest schon Bescheid.«
»Du darfst hier nicht hereinkommen«, erwiderte Kira.
»Sie behauptet, es sei ein Notfall«, wandte Shaylon ein. Er
unterbrach sich und betrachtete Samm. »Das ist er also.«
Vorsichtig nahm Kira die Spritze in Empfang. Das Blut in dem
Röhrchen war noch warm. »Was ist das?«
»Angeblich weißt du Bescheid. Es kommt von der Entbindungsstation«,
erklärte Shaylon.
Da dämmerte es Kira, und sie riss die Augen auf. »Das Blut von einem
Neugeborenen! Eine der Frauen hat ein Kind bekommen!« Sie stürzte zur
Arbeitsfläche und holte rasch Glasplättchen und Pipetten heraus. »Weißt du, wer
die Mutter ist?«
»Wie die Schwester sagt, weißt du, was damit zu tun ist.«
»Ja, das weiß ich«, antwortete Kira. »Reg dich ab!« Bitte, lieber
Gott, lass es nicht Madison sein!, flehte sie im Stillen. So rasch sie es wagen
konnte, beförderte sie einen Blutstropfen auf einen Objektträger und lief zum
Medicomp. »Dies ist nicht infiziertes Blut, verstehst du? Die Babys werden
gesund geboren und dann erst mit dem Virus
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