Partials 1 – Aufbruch
Wahrheit? Bluffte er nur? Wollte er sie hereinlegen?
Sie konnte ihm das Mittel nicht geben, ohne Marcus und die ganze Gruppe
auffliegen zu lassen. Was würde geschehen, wenn sie der Bitte nachgab? Wer in
der Menge würde sie angreifen? Wer würde ihr zu Hilfe kommen? Wer würde ihr
glauben, und würde man ihr so sehr vertrauen, dass sie die Entbindungsstation
betreten durfte? Es reichte nicht aus, dass ihr der Soldat Unterstützung
versprach. Sie musste sich selbst überzeugen, sie brauchte einen Beweis, sonst
konnte sie das Risiko nicht eingehen.
Sie suchte in seinen Augen nach einem Zeichen, nach einer Andeutung
und nach Verständnis. »Du kannst kein halber Held sein«, flüsterte sie.
»Ausweiskontrolle«, sagte ein anderer Soldat, der seitlich vor ihnen
stand. Er kam einen Schritt näher, und Kira sank der Mut. »Wir müssen jeden
kontrollieren, auch die Soldaten. Ihr kommt nicht in die Klinik, solange ich
nicht genau weiß, wer ihr seid.«
Die Soldaten blieben atemlos stehen und lauschten angestrengt, um ja
nichts zu verpassen. Im Hintergrund griff man schon nach den Waffen und
bereitete sich auf ein Feuergefecht vor.
In ihrer Aufregung wusste Kira nicht, wem sie noch trauen konnte.
Wenn geschossen wurde, wusste sie nicht einmal, vor wem sie in Deckung gehen
und auf wen sie zielen sollte. Sie wusste rein gar nichts. Sie wusste nicht
einmal, was dieser Soldat von ihr wollte. Jayden ließ die freie Hand sinken und
löste die Schnalle des Halfters, um die Pistole schneller ziehen zu können. Der
Soldat vor ihr tat das Gleiche. Dann wandte er sich zur Seite, bis die Waffe
nur Zentimeter von Kiras Fingern entfernt war.
»He, Woolf«, rief er dem Wächter zu, der sie aufgehalten hatte,
»hast du Handschellen dabei? In der Menge gibt es viele Sympathisanten. Ich
muss die Frau gut fesseln, ehe wir sie nach oben bringen.«
Sympathisanten in der Menge? Kira starrte die Waffe an. Das war
vielleicht eine Botschaft für sie. Er missachtete die Aufforderung, sich
auszuweisen, und bot ihr eine Waffe an. Stand er auf ihrer Seite? Aber was tat
er? Wenn er für Kira und ihre Gefährten kämpfen wollte, warum kämpfte er dann
nicht einfach? Was erwartete er von ihr? Die Soldaten beobachteten die
Entwicklung und warteten, in welche Richtung sich das Blatt wendete. Wer stand
auf ihrer Seite? Was sollte sie tun? Sie betrachtete den Soldaten vor ihr. Es
lag an ihr, sie musste handeln. Er überließ ihr die Entscheidung. Er kämpfte
noch nicht, weil er wissen wollte, ob sie es ernst meinte oder nicht. Ob sie
wirklich bereit war, für diese Sache zu sterben, oder oballes
nur heiße Luft war. Wenn sie etwas unternahmen, würde Blut fließen. Viele
würden sterben. Er überließ es ihr, den ersten Schritt zu tun.
»Ausweiskontrolle, sagte ich.« Der Wachtposten kam näher. Das Gewehr
hielt er in den Händen. Wenn er misstrauisch wurde, konnte er sie binnen
Sekunden töten. Kira fasste einen Entschluss und blickte unverwandt nach links,
an Farad vorbei zu der Menge hinüber. Der Soldat folgte unwillkürlich der
Bewegung, und sie schnappte sich die angebotene Pistole, zog sie, entsicherte
sie mit einer fließenden Bewegung und jagte dem misstrauischen Soldaten eine
Kugel in den Kopf. Er sank wie ein nasser Sack zu Boden, und sie brüllte mit
voller Kraft: »Kämpft für eure Zukunft!«
Die Menschen schrien laut. Kira duckte sich, Marcus zog sie ganz zu
Boden. »Die werden dich da oben erschießen!«
»Die werden mich überall erschießen!«, rief sie und wandte sich zur
Tür des Krankenhauses um. Der Soldat, der ihr die Pistole überlassen hatte,
ging zu Boden. Kira verfolgte die Schussbahn und zielte auf den Mann, der
gefeuert hatte. Auf einmal war das Gelände vor dem Eingang frei. Kira sprang
auf, zerrte Marcus mit sich und stürmte zur Tür. Jayden und Xochi folgten dicht
hinter ihnen. Kaum hatten sie das Gebäude betreten, hörten sie Schüsse im Flur.
Sie warfen sich hinter einer hohen Empfangstheke in Deckung.
»Das ist Sperrholz«, warnte Jayden. »Das hält keine Kugeln ab.«
»Die Leute draußen stehen nicht allesamt auf unserer Seite«, gab
Xochi zu bedenken. »Ich will nicht offen sichtbar auf dem Boden liegen, wenn
gerade eine Revolution stattfindet. Wir brauchen eine Strategie.«
Jayden lachte grimmig. »Angreifen und auf das Beste hoffen.«
»Hoffnung ist keine Strategie«, erwiderte Kira.
»Es ist nicht der beste und nicht einmal der zweitbeste Plan«,
erklärte Jayden. »Aber in Notfällen gibt es nichts
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