Partitur des Todes
Hast du das verstanden?»
Kerstin Henschel knurrte eine unverständlicheAntwort.Alle merkten, wie es in ihr arbeitete. Marthaler schaute sie unverwandtan. Schließlich erwiderte sie seinen Blick: «Okay», sagte sie, «ich kann damit leben. Wenn du mir versprichst, dass die Sache schnell in Ordnung gebracht wird.»
«Das verspreche ich dir. Ich denke, es ist Kais Aufgabe, die Frau umgehend aufzusuchen.»
Kai Döring nickte.
«Gut, dann tu das. Kerstin wird schauen, ob es Neuigkeiten von Schillings Leuten gibt. Sven und ich werden versuchen, Erkan Önal zu finden. Danach treffen wir uns im Präsidium. Ich wette, da geht es schon jetzt zu wie in einem Bienenstock.»
Alle vier hatten das Zelt verlassen und standen vor dem Eingang. Sofort sahen sie, wie von der Uferstraßewieder fotografiert wurde.
«Eins noch», sagte Kerstin Henschel, «wer hat die Toten überhaupt entdeckt?»
Die vier Polizisten schauten sich ratlos an. Keiner wusste eineAntwort. Niemand hatte bislang daran gedacht, in der Zentrale nachzufragen, um zu erfahren, von wem der Notruf gekommen war.
Sieben
Mühsam versuchte Valerie, wach zu werden. Es war, als schwebe sie unter Wasser in einem tiefen See. Sie wollte an die Oberfläche, aber sie hatte keine Kraft. Irgendwer, irgendetwas zog sie immer wieder nach unten.Alles fühlte sichschwer an. Ihre Lider, ihrKopf, ihr Körper, ihre Beine. Schwerund dumpf.
Endlich gelang es ihr, dieAugen zu öffnen.Aber sie konnte nichts sehen. Um sie herum war alles dunkel. Sie hatte den Eindruck, niezuvor eine so undurchdringliche Finsternis wahrgenommen zu haben.
Valerie wusste nicht, wo sie war. Sie lag auf dem Rücken.Sie hatte starke Kopfschmerzen.
Irgendetwas war mit ihrem Mund. Die Haut ihres Gesichts spannte. Sie konnte nur durch die Nase atmen. Jetzt merkte sie, dass man sie geknebelt hatte. Ihr Mund war mit einem breiten Klebeband verschlossen worden, das man ihr mehrmals um den gesamtenKopf geschlungen hatte.
Sie wollte sich von dem Knebel befreien, aber es gelang ihr nicht. Sie war gefesselt. Man hatte sie zu einemBündel verschnürt.
Sie versuchte, sich freizustrampeln, rollte ihren Körper von rechts nach links, aber die Fesseln lockerten sich nicht. Immer wieder warf sie sich hin und her, aber je mehr sie sich anstrengte, desto straffer schien sich das Seil zu spannen.
Sie konnte sich nicht bewegen, konnte nichts sehen, konnte nicht schreien. Sie war hilflos.Ausgeliefert.
IhrAtem ging immer schneller. Ihr Herz raste. Ihr Magen begann zu krampfen.
Wenn mir jetzt schlecht wird, dachte sie, wenn ich mich jetzt übergeben muss, dann werde ich sterben. Niemand wird mir helfen. Ich werde ersticken.
Valerieschloss dieAugen. Sie zwang sich, tief und langsam zu atmen. Sie musste ruhiger werden.
Ihre rechte Hand fühlte sich taub an. Die Fesseln schnitten ihr tief ins Handgelenk. Mit den Fingerspitzen der Linken tastete sie über den Boden. Er war glatt und kühl. Metall, dachte sie. Ich liege auf lackiertem Metall. Es ist die Ladefläche eines Lieferwagens.
Sie merkte, dass sie wieder müde wurde. Nein, ermahnte sie sich, nein, du musst jetzt wach bleiben. Du musst wissen, was geschehen ist. Du musst dich erinnern.
Aber sie war erschöpft. Ihr fiel ein Satz ein, den sie einmal gelesen hatte: «Eine Mischung aus Angst und Müdigkeit ist das stärkste Schlafmittel.»
Du musst dich erinnern! Du hast dir in Paris ein Ticket gekauft. Es hat lange gedauert, bis der Zug endlich losfahren konnte. Irgendetwas war auf der Strecke. Du hast telefoniert.Aber du bist in Frankfurt angekommen.
Das war das Letzte, was sie dachte: Du bist angekommen. Dann fielen ihr erneut dieAugen zu.
Acht
Liebmann und Marthaler liefen an Sultans Imbiss vorbei, dann stiegen sie die steile Steintreppe zur Brücke hinauf.Hinter derAbsperrung warteten die Reporter. Sogar ein Filmteam hatte bereits seine Kamera aufgebaut.Als die Journalisten die beiden Polizisten kommen sahen, begannen sie alle gleichzeitig, ihre Fragen zu rufen.
«Geh schon vor zum Wagen», sagte Marthaler zu seinem Kollegen. «Versuch, Erkan ÖnalsAdresse herauszufinden. Ich komme sofort nach.»
Während Liebmann sich einen Weg durch die Menge bahnte, hob Marthaler beide Hände, um die Leute von der Presse zur Ruhe zu bringen. Er wusste:Auch wenn es bislang nur wenige Erkenntnisse gab, war es besser, den Journalisten schon jetzt ein paar Informationen zu geben und sie so füreine Weile loszuwerden.Andernfalls würden einige von ihnen versuchen, den
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