Partitur des Todes
das ist die Frage. Er heißt Erkan Önal. Schilling kennt den Mann. Seine Beschreibung trifft auf keines der Opfer zu.Aber wowar Erkan Önal, als die Morde auf seinem Boot passierten? Und wo ist er jetzt?»
«Entweder sollte er ebenfalls getötet werden und ist demMörder entwischt…», sagte Sven Liebmann.Aber diesmal war er es, der sich selbst ins Wort fiel. «Nein, das ist Quatsch, dann hätte er sich sicher bei uns gemeldet.»
«Oder?», fragte Marthaler.
«Oder er ist selbst der Täter und ist uns entwischt. Dann wird er jetzt sicher nicht zu Hause sitzen und auf uns warten.»
«Er muss ja gestern gar nicht selbst gearbeitet haben. Vielleicht hat er einen Angestellten», gab Kerstin Henschel zu bedenken.
«Das lässt sich herausbekommen.Aber irgendjemand muss hier gewesen sein und die Gäste bedient haben. Und dieser Jemand ist verschwunden.»
«Also?», fragte Kerstin Henschel nach.
«Also müssen wir nach diesem Jemand suchen», sagte Kai Döring.
«Das ist eine der ersten Sachen, die wir tun werden», sagte Marthaler. «Zwei Leute müssen Önals Adresse ausfindig machen und dort hinfahren. Wenn er daheim ist, muss er sofort ins Weiße Haus zur Vernehmung gebracht werden. Wenn nicht, schreiben wir ihn zur Fahndung aus. Zweitens brauchen wir rasch die ersten Ergebnisse der Spurensicherung. Jemand von uns muss Schilling deswegen nerven. Ich habe meinen Teil dafür heute bereits getan. Drittens müssen wir herausfinden, ob es Zeugen gab. Vielleicht hat sich schon jemand gemeldet. Wenn nicht, müssen wir uns an die Medien wenden und um Mithilfe der Bevölkerung bitten. Viertens: Was ist mit der Tatwaffe? Schilling fragen! Wenn sie nicht auf dem Boot gefunden wurde, muss eine Suchaktion eingeleitet werden. Fünftens müssen dieAngehörigen der Opfer verständigtwerden. Sechstens möchte ich jetzt gerne wissen, was Sven mir schon längst gesagt haben sollte.»
Liebmann und Döring sahen einander an. Liebmann grinste und schüttelte stummden Kopf. Dann streckteer den Zeigefinder aus und zeigte auf seinen Freund. Kai Döring verzog das Gesicht.
«Es istso… Wir hatten gestern einen Anruf. Eine Frau, die ich kenne. Sie wohnt hier gleich gegenüber… Sie hat etwas gesehen, aber sie ist verrückt, sie ruft immerzu irgendwen an…»
«Weiter, Kai! Komm zur Sache!», drängelte Marthaler. «Du warst es, der geforderthat, dass wir endlich an die Arbeit gehen.»
«Sie wollte mich sprechen. Sie hat gemeldet, dass ein Mann hier unten auf der Bank sitzt. Er hat wohl über längere Zeit hier gesessen. Er kam ihr verdächtig vor. Sie sagte, er habe einen stechenden Blick. Was hätten wir denn machen sollen? Wir konnten ihn ja schlecht verhaften.»
Einen Moment lang herrschte Schweigen.
«Stopp mal», sagte Kerstin Henschel. «Verstehe ich das richtig: Hier ist ein paar Stunden vor der Tat ein verdächtiger Mann gesehen worden? Diese Beobachtung hat man euch gemeldet, und ihr habt den Hinweis ignoriert? Ist euch überhaupt klar, was das heißt?»
Sowohl Döring als auch Liebmann schauten betreten zu Boden.
«Das heißt, dass wir die Tat womöglich hätten verhindern können, wenn ihr…»
Kai Döring ging in Verteidigungsstellung: «Kerstin, bitte. Die Frau ist eine schwere Kifferin. Sie sieht überall Gespenster. Du glaubst nicht, wie oft sie sich auf den Revieren herumtreibt, um irgendetwas zu melden…»
Marthaler hob die flache Hand zum Zeichen, dass er etwas sagen wollte. Er sprach langsam und leise: «Wirwerden das überprüfen. Wir können nur hoffen, dass es stimmt, was Kai überdiese Frau sagt, und dass wir Kollegen finden, die das bezeugen.Aber wieauch immer, wenn die Presse herausfindet, dass wir Hinweise auf ein bevorstehendes Verbrechen hatten und diesen Hinweisen nicht nachgegangen sind, dann ist das eine Bombe, die uns um die Ohren fliegen wird. Wir müssen so rasch wie möglich mit der Frau sprechen. Und bis wir mehr wissen, müssen wir die Sache vertraulich behandeln. Zu keinem ein Wort, ist das klar?»
«Robert, das ist nicht dein Ernst», empörte sich Kerstin Henschel. «Du kannst eine solche Sache doch nicht unter den Teppich kehren… Damit machst du dasselbe…»
«Ich will gar nichts», fiel ihr Marthaler ins Wort. «Nichts, außer ein wenig Zeit gewinnen, um über dieAngelegenheit nachzudenken. Wir haben jetzt anderes zu tun, als uns eine Schlacht mit der Presse zu liefern.Ich weiß nicht, was wir tun werden.Aber bis ich es weiß, bleibt die Sache unter uns.Das gilt auch für dich.
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